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Es geht uns gut: Roman

Es geht uns gut: Roman

Titel: Es geht uns gut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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und in die fensterlosen Hietzinger Villen flüchten konnten. Die Vögel wurden von den in der Stadt verbliebenen Kindern sichergestellt – was man halt damals sicherstellen nannte. Gemeinsam mit einem Sohn von Dr. Jokl hat Otto einen Tukan eingefangen, der soll bei Jokls im Kochtopf gelandet sein als Abwechslung auf dem seit Wochen eintönigen Speiseplan.
    Weißt du noch? Im letzten Kriegsjahr hast du gelernt, wie man überprüft, ob Milch gewässert ist. Wenn man eine Stricknadel in die Milch tauchte, und es blieb an der Nadel eine Spur Milch hängen, war die Milch unverdünnt, ansonsten war sie gestreckt.
    Sauer? In einem zerbrochenen Glas?
    Hatte das Ingrid geschrieben oder Otto?
    Eine Postkarte?
    Keine Antwort.
    Auf alle Lebenden und Toten.
    [Applaus. Ende.]
    Eins noch – wovon Alma?
    Sie träumt von kleinen Schweinen. Ihr Vater und sie laden viele kleine Schweinchen von einem Wagen, tragen jedes einzeln in den Keller und legen sie auf eine Stellage, wo sie brav liegenbleiben, bis auf drei.
    Ihr Vater sagt:
    – Die drei werden nicht angenommen.
    Dabei sind es die schönsten Schweinchen von allen.
    Alma legt die lebhaften Schweine nochmals zu den anderen, und da bleiben auch sie brav liegen.
    [Bravo. Applaus.]
    Der Allsehende droben wird den Traum einer Rose und den Traum einer Lilie kennen und scheiden. Das hat jemand gesagt, als Alma noch klein war, manchmal versucht sie, sich zu erinnern, wer es gewesen ist, aber es fällt ihr nicht ein.
    Gesagt wird viel.
    Das Vergessen ist der beste Gehilfe des Henkers.
    Man lebt nicht einmal einmal.
    Das Leben besteht aus vielen Tagen. Dieser wird enden.
    Im Konversationslexikon der Madame de Genlis, in einer Ausgabe aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, behandelt das einundfünfzigste und letzte Kapitel Gesprächsschablonen, die der Reisende auf dem Totenbett mit seinem Arzt wechseln soll. In Lautschrift abgefaßte Sätze in einer fremden Sprache.
    – Bin ich verloren?
    – Werde ich große Schmerzen leiden müssen?
    – Ich bin bereit, vor meinen Herrn zu treten.
    [Applaus.]
    Im bereits ausgekühlten Fernseher, wenn er liefe, wenn das richtige Programm eingestellt wäre (wäre wäre wäre), antwortet ein vor drei Jahren verstorbener russischer Regisseur auf die Frage, was das Leben sei:
    – Eine Katastrophe.
    Was man ja immer ein wenig geneigt ist zu unterschlagen.
    Ja?
    : ?
    Ja.
    [Black-out]

Mittwoch, 20. Juni 2001
    Am Vormittag haben Steinwald und Atamanov das Hochzeitsgeschenk von Steinwald, die Eheringe, im Motorraum des Mercedes eingeschweißt, angeblich, weil sie mehrere Grenzen und Steuerbehörden fürchten. Jetzt stehen sie in bequemer Haltung neben Philipp, und sehen den Handwerkern zu, die mit Hilfe eines mobilen Krans größere Stellen des Dachs freilegen und Ziegel auf den Schneehaken stapeln. Als der Kran kurzzeitig nicht benötigt wird, räumt Atamanov die Dachrinne aus. Steinwald holt unterdessen eine Axt aus dem Keller. Er will den sehr nahe am Haus stehenden Marillenbaum fällen, damit der Kran auch hinter das Haus fahren kann. Philipp redet ihm nicht drein, ihm ist klar, der Baum steht im Weg. Doch als er sich Richtung Vortreppe verdrückt, denkt er, wie schade es ist, daß auch die Putzbürste verschwinden wird, die im Marillenbaum hängt. Jemand hat sie mit dem Kopf nach oben an einen Ast gebunden, weil der Ast abgestützt werden mußte. Aber der Baum war jung und ist noch fast einen halben Meter gewachsen.
    Die Axt schlägt regelmäßig gegen den Stamm. Den Kopf dem Geräusch zugewandt, hört Philipp auf die Schläge und (und) stellt sich dabei vor, wie von den Erschütterungen ein Erdbeben unter dem Haus durchläuft, wie in Atamanovs Zimmer das Bild seiner Braut aufs Gesicht fällt, wie die Schneehaken die Ziegelstapel nicht mehr halten können. Die Ziegel kommen ins Rutschen, schlittern über die Dachkante und regnen entsetzlich auf Philipp herab.
    Sein Vater hat wiederholt erzählt, daß er in den fünfziger Jahren bei einem Besuch im Naturhistorischen Museum das stärkste je in Österreich registrierte Erdbeben erlebt habe, ausgerechnet bei den ausgestopften Tieren. Plötzlich hätten sich die Tiere zu bewegen begonnen und seien reihenweise von ihren Stangen, Steinen und Podesten gefallen. Die Scheiben der Vitrinen seien gesprungen, er, Philipps Vater, habe sich nur mühsam auf den Beinen gehalten und Maul und Augen aufgesperrt, weil er gar nicht begriffen habe, was da vorging. Dieser Bericht hat Philipp als Kind tief beeindruckt,

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