Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
bist.«
»Und wann ist man krank?«
Ich betrachte ihn. Er ist blass, seine Schritte sind unsicher und seine Hand fühlt sich ganz heiß an. Wahrscheinlich hat er Fieber.
»Weiß ich auch nicht genau. Wenn man nicht mehr kann. Wenn es einem ganz schlecht geht. Wenn man sich ins Bett legen muss und so.«
Er nickt, läuft voraus und sammelt Stöcke auf, wobei er schon etwas sicherer wirkt als zuvor. Mehr und mehr scheint er sich zu erholen, läuft immer weiter voraus und wartet wieder kurz auf mich. Eine ganze Weile geht das so, Minuten, Stunden, Tage. Irgendwann ist er so weit vorausgelaufen, dass ich ihn aus den Augen verliere. Einmal sehe ich ihn noch hinter ein paar Bäumen hervorschauen. Noch einmal. Ich bin mir nicht sicher, ob er seinen Verband noch trägt. Er winkt mir kurz zu, dann ist er verschwunden.
Als ich an der Stelle ankomme, suche ich alles ab, kann ihn aber nicht mehr finden. Erschöpft setze ich mich auf eine Bank am Wegesrand, um mich kurz auszuruhen.
Als ich wieder aufwache, dämmert es bereits. In dem Handtuch, das zusammengerollt neben mir auf der Bank liegt, finde ich ein Zwei-Euro-Stück. Jemand muss mich für einen Bettler gehalten haben.
Ich atme die immer noch wässrige Luft und fühle mich erstaunlich gut. Dann stecke ich das Geld ein und mache mich auf den Weg zum Hotel.
19
Die Straßen kommen mir jetzt noch lebloser vor als heute Morgen. Aus dem einst blühenden Kurort scheint eine Geisterstadt geworden zu sein. Die Menschen, die einmal mit großen Hoffnungen ihre Vermögen investiert haben, um einen großen Reibach zu machen, zu einer Zeit, als der Kapitalismus noch Spaß gemacht hat, versuchen jetzt nur noch schlimmere Schicksalswendungen zu verhindern. Ihre Augen blitzen nicht mehr vor Gier und Aufregung, sie sind angefüllt mit Angst. Auch das »Hotel Krone« gaukelt den Luxus nur vor und bietet von allem zu wenig. Als ich davorstehe, verstecke ich das verdreckte Handtuch wieder unter dem Mantel und betrete den nur schwach beheizten Vorraum.
In der Empfangshalle stehen einige Leute herum. Sie sehen jetzt einen tropfnassen Penner eintreten, der sicher gleich von der Geschäftsleitung hinauskomplimentiert werden wird. Es sind lauter neue Gesichter im Raum, niemand, der schon gestern hier gewesen wäre. Selbst die Spinne wird heute an der Rezeption von einem dynamischen jungen Mann vertreten. Nur die Dame mit dem Louis-Vuitton-Täschchen entdecke ich im Gespräch mit einem beleibten Herrn. Sie scheint mich allerdings nicht mehr zu kennen, so als ob ich über Nacht eine andere Person geworden wäre. Da ich von niemandem daran gehindert werde, hole ich an der Rezeption meinen Schlüssel ab und gehe auf mein Zimmer.
Im Fernseher laufen wieder die Nachrichten. Ein Bericht über die Ausschreitungen in Hamburg. Der Wassermangel habe sich als bloßes Gerücht entpuppt, das allerdings zu einer Art Massenhysterie geführt habe. Es sei zu Rangeleien in den Supermärkten und zu vereinzelten Schlägereien gekommen. Schon kurz nachdem die Legende aufgekommen sei, habe es in den Supermarktregalen und Getränkemärkten kaum noch etwas zu kaufen gegeben. Die Leute hätten mehr gehortet, als sie in einem halben Jahr hätten verbrauchen können, und viele andere seien entsprechend leer ausgegangen. Die Idee vieler Hamburger, auf Alkohol – vorzugsweise Bier – umzusteigen, nachdem Softgetränke ebenfalls vom Markt waren, habe auch nicht gerade zur Entschärfung der Situation beigetragen.
Ein bloßes Gerücht also, über das mit einem amüsierten Unterton berichtet wird. Die Panik der Leute aber scheint real gewesen zu sein. Im Fernsehen sieht man ein etwa neunjähriges Mädchen, dem eine volle PET -Flasche aus der Hand gerissen wird, als sie daraus trinken will. Die ungefähr fünfzehnjährige Täterin geht achtlos weiter und leert das Diebesgut vor laufender Kamera. Ansonsten zeigen die Fernsehbilder protestierende Bürger, die ihren Unmut über die mangelhafte Wasserversorgung und die Informationspolitik der Regierung kundtun. Und man bekommt immer wieder zu sehen, welche Folgen der sprunghaft angestiegene Bierkonsum hat. Alt und Jung, Hunde und Katzen, alles torkelt über die Mattscheibe. Im Mittelpunkt der Berichterstattung steht die Lächerlichkeit der Betrunkenen.
Ich würde gern Jimi anrufen, aber kann mein Handy nicht finden. Leider entfällt mangels Kleidung auch die Möglichkeit, mich umzuziehen und gepflegt wie ein normaler Mensch im Restaurant zu Abend zu essen. Ich muss also
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