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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die ganze Arbeit und nichts als die Arbeit. Nach einer Weile gelang es ihm sogar.
    Als er am nächsten Tag die Schlagzeile in der Zeitung sah (VERMISSTER JUNGE GIBT ANLASS ZU NEUEN BEFÜRCHTUNGEN), dachte er an das Taschenmesser mit den Initialen E. C., das er in den Kanal geworfen hatte. Er dachte an das Blut, das er im Gras gesehen hatte.
    Und er dachte an die Spuren, die am Kanal aufhörten.

Kapitel sieben
     
    Der Damm in den Barrens
     

1
     
    Um Viertel vor fünf Uhr morgens gleicht Boston einer riesigen Totenstadt, einer antiken Stadt, die über irgendeine schreckliche Tragödie in ihrer Vergangenheit brütet – über eine Seuche oder einen Fluch. Der intensive, unangenehme Salzgeruch dringt vom Meer her in die Stadt hinein, und dichter Bodennebel füllt die engen Straßen.
    Eddie Kaspbrak, der am Steuer des schwarzen Cadillacs sitzt, den er bei Butch Carrington in der Firma »Cape Cod Limousine« abgeholt hat, und in Richtung Storrow Drive fährt, denkt, dass man das Alter dieser Stadt ringsum spürt wie sonst nirgends in Amerika. Boston ist ein Kind, verglichen mit London, ein Säugling, verglichen mit Rom, aber wenigstens nach amerikanischen Maßstäben ist es alt, sehr alt. Dies ist eine alte Stadt, die sich schon vor dreihundert Jahren auf den Hügeln um den Charles River ausdehnte, als die amerikanische Revolution noch unvorstellbar schien, als Patrick Henry und Paul Revere noch gar nicht geboren waren.
    Dieses Alter, die Stille und der Nebelgeruch vom Meer – sie machen ihn nervös. Wenn Eddie nervös ist, greift er nach seinem Asthma-Spray. Er schiebt es sich in den Mund, drückt den Pumpmechanismus und schickt eine Wolke belebendes Spray seine Kehle hinunter.
    Einige wenige Leute sind doch schon auf den Straßen und strafen seinen Eindruck Lügen, dass er in eine Lovecraft-Erzählung von verfluchten Städten, uraltem Bösen und Monstern mit unaussprechlichen Namen hineingeraten ist; Kellnerinnen, Krankenschwestern, städtische Angestellte mit müden, unausgeschlafenen Gesichtern stehen an einer Bushaltestelle mit Namen KENMORE SQUARE CITY CENTER.
    Gut so, denkt Eddie, der jetzt unter einem Schild mit der Aufschrift TOBIN BRIDGE herfährt. Gut so, fahrt lieber Bus, vergesst die U-Bahn. Die U-Bahn ist keine gute Idee. An eurer Stelle würde ich nicht da runtergehen. Nicht unter die Erde. Nicht in die Tunnel.
    Ein wirklich übler Gedanke; wenn er ihn nicht bald loswird, muss er wieder zum Asthma-Spray greifen. Er ist froh über den dichteren Verkehr auf der Tobin Bridge. Er passiert das Haus eines Steinmetzes für Grabsteine, an dessen Seitenwand eine leicht beunruhigende Ermahnung steht: FAHREN SIE LANGSAM! WIR KÖNNEN WARTEN!
    Er fährt unter einem grün beleuchteten Hinweisschild durch: ZUR 95: MAINE, NEW HAMPSHIRE, ALLE ORTE IN NORD-NEUENGLAND, und unwillkürlich fröstelt ihn. Sofort umklammern seine Hände das Lenkrad des Cadillac. Er würde nur allzu gern glauben, dass es erste Anzeichen für irgendeine Krankheit sind, dass er ein Virus aufgeschnappt hat oder eines der von seiner Mutter so gefürchteten »Phantom-Fieber« bekommt, aber er weiß es besser. Es ist die Stadt hinter ihm, die lautlos auf der scharfen Kante zwischen Tag und Nacht schwebt, und das, was laut des Hinweisschilds vor ihm liegt. Er ist krank, okay, so viel steht fest, aber er hat keinen Virus oder Phantom-Fieber. Seine eigenen Erinnerungen vergiften ihn.
    Ich habe Angst, denkt Eddie. Das lag immer allem zugrunde – diese Angst. Sie beherrschte alles. Aber letztlich haben wir sie zu unserem Vorteil genutzt. Nur wie?
    Daran kann er sich nicht erinnern. Er fragt sich, ob einer der anderen es kann. Um ihretwillen hofft er, dass sie es nicht können.
    Ein Lastwagen setzt zum Überholen an, und Eddie blendet kurz seine Scheinwerfer auf. Er macht das ganz automatisch; so etwas geht einem in Fleisch und Blut über, wenn man seinen Lebensunterhalt mit Autofahren verdient. Der Lastwagenfahrer bedankt sich durch zweimaliges kurzes Blinken mit dem Rücklicht für Eddies Höflichkeit. Wenn nur alles so einfach und klar sein könnte, denkt Eddie.
    Er folgt den Hinweisschildern, die ihn zur I – 95 führen sollen. Der Verkehr in Richtung Norden ist relativ leicht, obwohl ihm auffällt, dass der Verkehr in Richtung Süden und Innenstadt trotz der frühen Uhrzeit dichter wird. Eddie lenkt den großen Wagen sicher über die Straße, er hat einen Instinkt dafür, wann er auf welchen Fahrstreifen überwechseln muss, noch bevor die Schilder

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