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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Vater, der einen kurzen Blick darauf warf und dann nach einem kleinen Ziegelkörnchen auf der Hautpartie unterhalb von Mikes Daumen griff, das ihn mehr zu interessieren schien.
    »Aus dem alten Schornstein?«, fragte er.
    Mike nickte.
    »Bist du drin gewesen?«
    Mike nickte wieder.
    »Hast du da drin irgendwas gesehen?«, fragte Will und fügte dann rasch hinzu, um der ursprünglich gar nicht scherzhaft gemeinten Frage ihren Ernst zu nehmen: »Irgendeinen verborgenen Schatz?«
    Mühsam lächelnd schüttelte Mike den Kopf.
    »Na ja, erzähl deiner Mutter nicht, dass du dich da drinnen herumgetrieben hast«, sagte Will. »Sie würde zuerst mich und dann dich umbringen.« Er betrachtete seinen Sohn noch einmal, aufmerksamer als zuvor. »Mikey, ist wirklich alles in Ordnung?«
    »Hä?«
    »Du siehst ein bisschen blass um die Augen rum aus.«
    »Wahrscheinlich bin ich nur müde«, sagte Mike. »Immerhin sind es hin und zurück gut fünfzehn Kilometer, vergiss das nicht. Soll ich dir beim Traktor helfen, Daddy?«
    »Nein, ich bin fast fertig. Geh lieber rein und wasch dich.«
    Mike machte sich auf den Weg, und dann rief sein Vater ihn noch einmal. Mike drehte sich um.
    »Ich möchte nicht, dass du noch einmal dorthin gehst«, sagte Will, »zumindest nicht, bis diese Mordfälle aufgeklärt sind und der Täter hinter Schloss und Riegel sitzt … Du hast da draußen niemanden gesehen, oder? Niemand hat dich belästigt oder verfolgt?«
    »Ich habe keinen Menschen gesehen«, antwortete Mike wahrheitsgetreu.
    Will nickte und zündete sich eine Zigarette an. »Na ja, trotzdem war’s falsch von mir, dich dorthin zu schicken. Solche alten Orte … manchmal können sie gefährlich sein.«
    Für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke.
    »Okay, Daddy«, sagte Mike. »Ich möchte sowieso nicht mehr dorthin. Es war … ein bisschen unheimlich.«
    Will nickte wieder. »Je weniger du deiner Mutter davon erzählst, desto besser. Jetzt geh und wasch dich. Und sag ihr, sie soll drei oder vier Würste mehr als sonst heiß machen.«
    Und das tat Mike dann auch.

6
     
    Vergiss das jetzt, dachte Mike Hanlon und betrachtete die Spuren, die zum Betonrand des Kanals führten und dort aufhörten. Vergiss das jetzt, es war möglicherweise sowieso nur ein Tagtraum, und …
    Am Rand des Kanals waren getrocknete Blutflecken.
    Mike betrachtete sie, und dann blickte er in den Kanal hinab. Schwarzes Wasser strömte sanft dahin. Schmutzig gelber Schaum haftete an den Betonwänden, wurde abgeschwemmt und trieb in trägen Kurven und Spiralen außer Sichtweite. Einen Augenblick – einen flüchtigen Augenblick lang – vereinigten sich zwei Klümpchen dieses Industrieabwassers, wirbelten herum und schienen ein schmerzverzerrtes Gesicht zu bilden, ein Kindergesicht, mit Augen, die in unsagbarem Entsetzen verdreht waren.
    Mike hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
    Dann wurde der Schaum auseinandergetrieben und war nur noch schmutziges Abwasser, und im selben Moment hörte er rechts von sich ein lautes Platschen. Er wich ein wenig zurück und schaute in jene Richtung, und ganz flüchtig glaubte er, in dem Schatten des Tunnels, dort wo der Kanal wieder an die Erdoberfläche kam, etwas zu sehen.
    Dann war es verschwunden.
    Frierend und zitternd holte er das Messer, das er gefunden hatte, aus der Tasche. Er warf es in den Kanal. Ein leises Platschen, kreisförmige Wellen … und dann nichts mehr.
    Nichts außer der Angst, die ihn mit überwältigender Heftigkeit überfiel. Er wusste mit einem Mal mit absoluter Sicherheit, dass etwas in der Nähe war, ihn beobachtete, seine Chancen abwägte und nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete.
    Er drehte sich um und beschloss, zu seinem Rad zurückzugehen, und dann hörte er wieder jenes platschende Geräusch, und plötzlich rannte er los, sprang auf sein Rad, schob mit dem Absatz den Ständer hoch und trat in die Pedale. Der Ozeangeruch war nun noch viel intensiver … viel zu intensiv. Er war überall. Und das von den nassen Zweigen tropfende Wasser war viel zu laut.
    Etwas kam hinter ihm her. Er hörte schlurfende, schlingernde Schritte im Gras.
    Mike trat jetzt stehend in die Pedale, um schneller voranzukommen. Er schoss durch das Parktor auf die Main Street hinaus, ohne noch einmal zurückzuschauen, er fuhr nach Hause und fragte sich, welcher Teufel ihn geritten hatte, überhaupt an diesen Ort zu fahren … was ihn dorthin gezogen hatte.
    Und dann versuchte er an seine Arbeit zu denken,

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