Eskandar: Roman (German Edition)
berührt, und sie hat seine Hand gespürt und auch seinen Duft und seine Hitze. Und dann hat er geflüstert, deine Augen sind schöner als die Steine der Krone des Königs in Teheran.
Bis heute weiß Sahra nichts über den König in Teheran, aber sie hat verstanden, der Fremde begehrt sie. Und sie weiß, dass alle es gesehen haben. Am liebsten hätte sie ihre Hand in die des Reiters gelegt und wäre mit ihm davongelaufen, dahin, wo niemand sie kannte. Aber dann hat sie sich an das Kind erinnert und geflüstert: Herr, ich trage ein Kind in meinem Bauch.
Wie die Öllampe, die sie nachts herunterdreht, ist das Licht in den Augen des Reiters verloschen, sein Blick ist kalt und dunkel geworden, und die Hitze ist aus seinem Körper verschwunden. Nur einmal noch hat er sie angesehen. Wenn es ein Junge wird, hat er gesagt, nenn ihn Eskandar.
Eskandar, hat Sahra geflüstert und ist zurück zum Platz unter den Baum, wo die Männer die Säcke mit der Ernte, die Jungtiere, die Teppiche und Stoffe, die Früchte zählen, wiegen und in Körbe und Bündel packen, um den obligatorischen Vierfünftelanteil für den Arbab auf die Wagen und Rücken der Esel und Maultiere der Reiter zu laden.
Bis sie wieder in ihrer Hütte und allein waren, hat Habiballah sich zusammengenommen. Seelenruhig hat er die Tür geschlossen und Sahra angestarrt, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Du hast die Ehe gebrochen und Schande über mein Haus gebracht, hat er gesagt und ihr mit seiner schweren, schwieligen Hand in ihr zartes Gesicht geschlagen. Zwei Zähne haben sich gelockert, sie ist gestürzt, und ihr Kopf ist an die Lehmwand gekracht. Er hat sich angefühlt wie eine überreife Melone, die aufplatzen will.
Der Schmerz und das Dröhnen im Kopf sind verschwunden, Sahras Sehnsucht nach dem Fremden ist geblieben und größer geworden.
Kurz nach Beginn des Frühlings und des neuen Jahres hat Sahra sich an den Djub gehockt und das Kind aus ihrem Bauch gezogen. Wie bei den Lämmern und Kälbern hat sie mit ihrem weißen Stein die Nabelschnur durchtrennt, ihren Sohn gewaschen, ihn sich mit einem Tuch auf den Rücken gebunden und ist wie an allen Tagen zu ihrem Mann aufs Feld gegangen.
Ist der Bastard endlich raus?, hat er gefragt. Mach dich an die Arbeit, die Erde muss aufgelockert werden.
Er ist dein Sohn und kein Bastard, hat Sahra geantwortet.
Halt den Mund, hat ihr Mann gesagt.
Ich werde ihn Eskandar nennen.
Der Teufel hat diesem Harumzade die Seele eingehaucht. Nenn ihn, wie du willst. Es ist ein Kind der Schande. Mir ist gleichgültig, ob er den Tag überlebt, ob er ein kurzes oder überhaupt ein Leben hat.
Sahra hat die Erde gehackt und gelächelt. Bis jetzt musste sie aufpassen, das Kind in ihrem Bauch nicht zu zerdrücken, jetzt lag es auf ihrem Rücken, und sie musste achtgeben, nicht zusammen mit ihm vornüberzukippen.
Und dann ist das Unglück passiert. Kurz nach der Geburt von Eskandar ist das Wasser zum ersten Mal weggeblieben. Als es wieder floss, war es nur noch ein Rinnsal, und in jedem Frühling ist es weniger geworden, bis es nach dem vierten Winter ganz ausgeblieben ist.
Die Leute haben Sahra die Schuld gegeben. Allen voran hat ihr eigener Mann sie als eine Sündige beschimpft, die Gottes Strafe auf sich und das gesamte Dorf gezogen hat. Er hat gebrüllt, damit alle ihn hören konnten und wussten, dass er ein Mann ist, der sich von seiner Frau nicht ungestraft die Ehre nehmen lässt. Er hat sie geschlagen und verprügelt und sie schließlich zusammen mit Eskandar in den Stall zu den Kühen und Schafen verbannt. Und er hat sich eine neue Frau genommen, die er nur bekommen hat, weil auch sie von ihrem Mann verstoßen worden war, weil sie keine Kinder gebären konnte.
Je weniger Arbeit Sahra hatte, je weniger sie aufs Feld gehen und die Ernte holen, je weniger Tiere sie melken, Käse, Butter und Molke herstellen konnte, je weniger Wolle sie spinnen und färben, Decken und Teppiche knüpfen und weben konnte, desto mehr Vorwürfe hat Sahra sich gemacht. Und desto häufiger hat sie sowohl ihren Habiballah als auch den fremden Reiter verflucht und zum Teufel gewünscht. Schließlich haben beide keinen Nutzen für sie gehabt, der eine hat ihr den Jungen in den Bauch gepflanzt, der andere dem Kind seinen Namen gegeben und in ihr Sehnsüchte und Begierden geweckt. Der eine liegt unter der Erde, ungewaschen, ohne Gebet und Kaffan, und der andere ist wie ein Jinn aus dem Nichts aufgetaucht, starrt sie an und bekommt den Mund nicht
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