Esper in Aktion
Glover. Er beobachtete ihre geschmeidigen Bewegungen. Im Bett …
Ihr Lächeln verschwand. »Trinken Sie noch eine Tasse Kaffee?« fragte sie ruhig.
Zum erstenmal im Leben spürte Glover eine gewisse Verlegenheit. Er hatte zwar seine Gedanken abgeschirmt, aber sie war sicher sensibel genug, um sie dennoch aufzufangen. Er mußte vorsichtig sein, solange er unter diesen Leuten weilte.
»Nein, danke«, sagte er und stand auf. »Ich wollte mich ein wenig mit Doktor Havenlake unterhalten. Wissen Sie vielleicht, wo ich ihn finden kann?«
»Er frühstückte schon vor mehr als einer Stunde«, erklärte Barbara. »Ich glaube, er wollte noch einen Spaziergang zum Berg hinauf machen.«
»Ein guter Gedanke«, meinte Glover. »Ich werde seinem Beispiel folgen.«
Die Morgensonne schien ihm warm ins Gesicht, aber gelegentlich kam eine kühle Brise auf. Er warf einen Blick ins Tal. Die weißgekalkten Häuser, die sich dicht um die Kirche drängten, erinnerten an Kinderspielzeug.
Der Gedanke, Havenlake allein gegenüberzutreten, hatte jetzt nichts Unheimliches mehr für ihn. Seit der Mann seine Psi-Kräfte verloren hatte, stellte er keine Gefahr mehr dar. Mit ihm konnte man sprechen, ohne sich zu verraten.
Glover erreichte den Bergkamm, aber er entdeckte nirgends eine Spur von Havenlake. Nach rechts fiel eine steile, schmale Schlucht ab, in der ein Bach dahinschoß.
Er suchte sich einen verhältnismäßig ungefährlichen Abstieg und wanderte den Bach entlang. Havenlake war immer noch nicht zu sehen. Schließlich setzte sich Glover ein wenig erschöpft auf einen Felsblock aus grünem Schiefer. Er starrte in das wirbelnde, kristallklare Wasser.
»Guten Morgen, Mister Glover.« Die hohe Stimme riß ihn aus seinen Betrachtungen. Toby kauerte wie ein Gnom auf einer Felsnadel in der Nähe.
Glover verdrängte seine Fluchtgedanken. Er stand auf und schlenderte durch das Farnkraut auf den Jungen zu. Toby hatte seine farbenprächtigen Kleider vom Vortag mit einer praktischen grünen Windjacke und Blue jeans vertauscht.
»Hast du Doktor Havenlake gesehen?« fragte er.
Der kleine Kobold grinste ihn an. »Richard brauchen Sie gar nicht, habe ich recht? Sie suchen nach Viktor.«
Glover spürte, wie Zorn in ihm hochstieg. »Du ekliger kleiner Schnüffler!«
»Eklig mag stimmen – aber mit dem Schnüffeln tippen Sie daneben«, erwiderte Toby friedfertig. »Sie können versichert sein, daß Ihre Abschirmung funktioniert. Becky Schofield versteht etwas von solchen Dingen.«
»Woher weißt du dann Bescheid?«
»Hat Ihnen das noch niemand gesagt? Ich sage wahr – wie Viktors Mutter Rosa … Aber die kennen Sie natürlich nicht. Und von Viktor wissen Sie auch ziemlich wenig. Möchten Sie ihn sehen?«
»Sehen?«
»Da – werfen Sie einen Bück zu den Ebereschen hinüber!« Toby deutete.
Glover tat, was der Junge von ihm verlangte.
Ein grünlicher Felsblock neben den Bäumen begann zu verschwimmen. Ganz allmählich nahm er die Form eines abscheulichen Kopfes an. Er war eiförmig und mit kurzem, dichtem schwarzen Haar bewachsen – irgendwie erinnerte sein Haar an ein Seehundfell. Es endete tief an der massigen Stirn, die die übrigen Gesichtszüge nach unten zu verdrängen schien. Die hervortretenden braunen Augen, die kleine Nase und der winzige Mund waren alle im unteren Viertel des Gesichts zusammengeschoben. Das Ganze sah merkwürdig unfertig aus – wie der erste Modellierversuch eines Kindes.
»Den Körper habe ich weggelassen«, sagte Toby mit seiner hohen, klaren Stimme. »Er war noch widerlicher anzusehen.«
Glover würgte. Daran änderte auch das Wissen nichts, daß er nur eine Psi-Halluzination vor sich hatte. »Was ist das, um Himmels willen?«
»Viktor natürlich – oder besser gesagt, Viktor in seiner ursprünglichen Gestalt«, erklärte Toby. »Man kann es ihm kaum verdenken, daß er dieser Existenz zu entfliehen versuchte – auch wenn er nur ein paar Kubikzentimeter von Havenlakes Gehirn erhielt.«
»Weshalb zeigst du mir das?« Glover konnte seine Blicke immer noch nicht von dem Monstrum losreißen.
»Weshalb wohl?« fragte Toby. »Weil Sie Ihren Entschluß bereits gefaßt haben! Oder etwa nicht?«
Die Halluzination zerfloß, und Glover wandte sich Toby zu. Er sah in die porzellanblauen Augen. »Du weißt das?«
»Natürlich«, entgegnete Toby mit einer Spur von Selbstzufriedenheit.
»Wenn du versuchst, mich daran zu hindern, werde ich …«
»Bitte – die Drohungen sind unnötig«, unterbrach ihn Toby.
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