Europe Central
aufgestellt wie die verblichenen Adlerstandarten Polens. Das Lager der Konterrevolution … deutsche Ehrlichkeit … die Verleumdungen der Opposition … die Gesundheit der völkischen Lehre. Es weiß, wie es jeden zu fassen bekommt, von der Achmatowa (die es, ganz Schwärmerin, mit einem gelblich rosa Herzen verwechselt) bis zu Schukow (der sich einredet, dass man mit ihm spielen kann), von Gerstein bis hin zu Guderian, diesen beiden Freidenkern, die einsam in ihren hochfliegenden Kugelgefängnissen tanzen und der Selbstinversion des Telefongehirns im Zentrum der Granate gehorchen.
Glauben Sie den Technikern nicht, die Ihnen versichern, das Hirn sei »gefühllos« – bald werden Sie hören, wie wütend der Hörer auf der Gabel zittert. Die Kollwitz, die Krupskaja – sie alle wird es aus dem Weg schaffen, wie durch Zauberhand. Es hat ihre Nummern. (Wie der Schlafwandler den Generalfeldmarschall Paulus mahnt: Man muss auf der Hut sein, wie eine Spinne im Netz …)
8 Kurz, es wird das Prinzip der zentralisierten Befehlsstruktur durchsetzen.
Es stellt die Verbindung her. Es läutet.
Vom Hörer, der nun rattert wie das Krad eines Meldefahrers auf dem Kopfsteinpflaster Prags, zum kalten schwarzen Leib verläuft ein gewundenes Kabel, dessen Dehnbarkeit den Vorgang der Strangulation in die Länge zieht. (Dank Telefon wird der General Wlassow in einer Schlinge aus Klaviersaitendraht krepieren.) Aus dem Anus-Mund hinter der Wählscheibe erstreckt sich ein weiterer Eingeweidestrang, dünner und weniger dehnbar als das Kabel am Hörer, und es pulst ganz bis an die Steckdose. Seit heute Morgen sind unsere Truppen … Eine dahergelaufene kleine rumänische Blondine mit finsterem Blick ist uns im Weg; wir müssen sie erschießen. Nun hinein in die tiefen grünen Wälder der Schaltstelle Europa! Das Verhältnis der Truppen im Abschnitt Stalingrad … Verteidigungsanlagen aus Stahlbeton. Können Gummisehnen fühlen? Wie macht man, dass sie bluten? Rücksichtsloser Fanatismus … wir werden schon mit ihnen fertig werden. Jetzt, da das Telefon läutet, zucken sie.
Das Telefon läutet. Wie ein Götzenbild hockt es da. Wie hatte ich es nur für einen Tintenfisch halten können?
Hinter der Wand breiten sich gummiummantelte Tentakeln über Europa aus. Die Heereskarten zeigen sie als Fronten, Schützengräben, Landzungen und Zangenangriffe. Die Politiker kodieren sie als Grenzen ( dem Erdboden gleichgemacht, ausradiert, völlig zerschmettert ). In der Verwaltung denkt man sie sich als Straßen und Wasserläufe. Die Gesundheitsbehörden interpretieren sie als das schwarze Rinnsal der Menschen, die Tag um Tag auf den zugefrorenen Straßen Leningrads dahinsiechen. Die Dichter sehen in ihnen die Adern des gemarterten Körpers der Partisanin Soja. Sie sind alles. Sie können alles.
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Gleich wird der Stahl sich in Bewegung setzen, langsam zunächst, wie Züge für den Truppentransport bei der Abfahrt aus ihren Bahnhöfen, dann rascher und allgegenwärtig, die rechtwinkligen Verbände von Männern unter Stahlhelmen beim Vormarsch, flankiert von Formationen glänzender Flugzeuge; dann werden Panzer, Flugzeuge und andere Geschosse unwiderruflich Fahrt aufnehmen. Polnische Soldaten tarnen ihre Helme schwach mit Netzen. Deutsche gehen ins Kino und verlieben sich in Filmstars; während das Unternehmen Zitadelle scheitert, werden sie für Lisca Malbran schwärmen. Russische Kavallerie reitet zum Angriff auf deutsche Panzer; deutsche Schulmädchen versuchen, russische Panzer auszuschalten, indem sie kochendes Wasser in die Geschütztürme gießen. Sperrballons hängen in der Luft, mit Flossen dick wie auf Kinderzeichnungen von Fischen. Keine Sorge, die Truppen der Schaltstelle Europa halten stand, zumindest bis zum Unternehmen Barbarossa! (Ihre Strategiepläne sind stockfleckig und verschmuddelt wie eine jahrhundertealte Bibel.) Der Stahl findet sie alle.
Der Stahl, beseelt vom magischen Auge des Schlafwandlers, leuchtet von innen, wenn er morden kommt. (In den Schneeverwehungen auf den Friedhöfen Leningrads liegen die mit und die ohne Sarg. Das hat der Stahl getan.) Die dicken Lichtstrahlen, als von einem Halbkettenfahrzeug ein Nebelwerfer abgefeuert wird, sie schärfen den Blick des Stahls, bezeichnen seine Reichweite.
Ein Soldat lässt seinen Blick durch das schwere, gehärtete Eisen des Visiers eines DschK-Maschinengewehrs schweifen, auf dass seine Kugel ihr Ziel finde. Der Stahl braucht ihn, um sie auf den Weg zu bringen,
aber
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