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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Wind kam vom schäumenden Fluß her. Wenn Eva jemanden mit freilaufendem Hund sah, atmete sie erst wieder auf, wenn der Hund an ihr vorbei war. Sie sah niemanden. Ihr Rock flatterte ihr um die Waden, der Wind wehte durch ihren Pullover, und deshalb hatte sie sich beide Arme um den Leib geschlungen. Emma lief zufrieden immer weiter, sie sah nicht besonders graziös aus, denn sie wog viel zu viel. Ein dickes Kind mit großem Mund und eckigem Gesicht. Ihre roten Haare schlugen ihr in den Nacken, und durch das Wasser in der Luft sahen sie schmutzig aus. Durchaus kein hübsches, adrettes kleines Kind, doch das wußte Emma nicht, und deshalb tanzte sie ziemlich sorglos dahin, ohne Eleganz, dafür aber mit einem Lebenshunger, wie ihn nur ein Kind haben kann. Noch vier Monate bis zum Schulbeginn, überlegte Eva. Eines Tages wird sie in den kritischen Gesichtern auf dem Schulhof ihr Spiegelbild entdecken, und sie wird sich zum ersten Mal ihrer unschönen Erscheinung bewußt werden. Aber wenn sie ein starkes Kind ist, wenn sie auf ihren Vater kommt, der eine andere gefunden hat und weggezogen ist, dann wird das keine große Rolle für sie spielen. Daran dachte Eva Magnus an diesem Tag am Flußufer. Daran, und an den Mantel, der zu Hause im Flur am Haken hing.
    Eva kannte den Weg sehr genau, sie waren hier schon zahllose Male entlanggewandert. Emma bestand immer wieder darauf, wollte nicht auf die alte Gewohnheit verzichten, über den Flußweg zu schlendern. Für Eva war das nicht so wichtig. In regelmäßigen Abständen verschwand die Kleine unten am Wasser, weil sie irgend etwas entdeckt hatte, das sie genauer in Augenschein nehmen mußte. Eva starrte mit Adleraugen hinterher. Wenn Emma ins Wasser fiel, gab es außer Eva niemanden, der sie retten konnte. Die Strömung war reißend, das Wasser eiskalt, das Kind schwer. Eva schauderte.
    Jetzt hatte Emma einen flachen Stein ganz unten am Wasser entdeckt und rief nach ihrer Mutter. Eva ging zu ihr. Der Stein war gerade so groß, daß beide darauf sitzen konnten.
    »Hier können wir nicht sitzenbleiben, der Stein ist naß. Wir können uns eine Blasenentzündung holen.«
    »Ist das gefährlich?«
    »Nein, aber es tut weh. Es brennt, und du mußt dann dauernd Pipi machen.«
    Sie setzten sich trotzdem. Beobachteten staunend die lebhaften Stromwirbel.
    »Wie kommt die Strömung ins Wasser?« fragte Emma.
    Eva mußte kurz überlegen.
    »Nein, Himmel, das weiß ich wirklich nicht. Vielleicht hat es etwas mit dem Flußboden zu tun, es gibt soviel, was ich nicht weiß. Das lernst du bald alles in der Schule.«
    »Das sagst du jedes Mal, wenn du keine Antwort weißt.«
    »Ja, aber es stimmt auch. Auf jeden Fall kannst du dann deine Lehrerin fragen. So eine Lehrerin weiß viel mehr als ich.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Ein leerer Plastikkanister kam in hohem Tempo angesegelt.
    »Den will ich! Holst du ihn mir raus?«
    »Nein, igitt, laß das schwimmen, das ist doch bloß Abfall. Ich friere, Emma, können wir nicht bald nach Hause gehen?«
    »Nur noch ein paar Minuten.«
    Emma strich sich die Haare hinter die Ohren und stützte das Kinn auf die Knie, aber ihre Haare waren starr und unwillig und fielen ihr wieder ins Gesicht.
    »Ist das sehr tief?« Sie nickte zur Flußmitte hinüber.
    »Nein, eigentlich nicht«, sagte Eva leise. »Acht oder neun Meter, nehme ich an.«
    »Das ist doch schrecklich tief.«
    »Nein, ist es nicht. Die allertiefste Stelle der ganzen Welt ist im Stillen Ozean«, sagte Eva nachdenklich. »Eine Art Graben.
    Er ist elftausend Meter tief. Das nenne ich schrecklich tief.«
    »Da würde ich aber nicht gern baden. Du weißt doch ganz viel, Mama, so eine Lehrerin weiß das bestimmt nicht alles. Ich wünsche mir eine rosa Schultasche«, sagte Emma.
    Eva schauderte.
    »Mm«, sagte sie laut. »Die sind schön. Aber sie werden so schnell schmutzig. Ich finde die braunen schön, diese braunen Ledertaschen, weißt du, was ich meine? Solche, wie die Großen sie haben?«
    »Ich bin nicht groß. Ich komm’ doch erst in die erste Klasse.«
    »Ja, aber du wirst doch größer, und du kannst nicht jedes Jahr eine neue Schultasche haben.«
    »Aber jetzt haben wir doch mehr Geld, oder?«
    Eva gab keine Antwort, warf bei dieser Frage jedoch einen raschen Blick über ihre Schulter, eine Angewohnheit, die sie früher nicht gehabt hatte. Emma fand ein Stöckchen und hielt es ins Wasser.
    »Wie kommt der Schaum ins Wasser?« fragte sie dann. »Dieser gelbe, fiese Schaum.«
    Sie schlug mit

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