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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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dem Stöckchen ins Wasser. »Soll ich die Lehrerin danach fragen?«
    Noch immer gab Eva keine Antwort. Auch sie hatte jetzt das Kinn auf den Knien liegen, ihre Gedanken gingen wieder auf Wanderschaft, und sie sah Emma nur noch undeutlich aus dem Augenwinkel heraus. Der Fluß erinnerte sie an etwas. Jetzt konnte sie unten im schwarzen Wasser ein Gesicht flimmern sehen. Ein rundes Gesicht mit schmalen Augen und schwarzen Brauen.
    »Leg dich aufs Bett, Eva.«
    »Was? Wieso denn?«
    »Mach es einfach. Leg dich aufs Bett.«
    »Können wir zu McDonald’s gehen?« fragte Emma plötzlich. »Was? Ja, sicher. Wir gehen zu McDonald’s, da ist es immerhin warm.«
    Sie erhob sich leicht verwirrt und nahm ihr Kind am Arm. Schüttelte den Kopf und starrte in den Fluß. Das Gesicht war verschwunden, aber sie wußte, es würde wieder auftauchen, würde sie vielleicht für den Rest ihres Lebens verfolgen. Sie gingen hoch zum Wanderweg und gingen weiter zur Stadt. Niemand begegnete ihnen.
    Eva merkte, daß ihre Gedanken wegliefen, sie gingen ihre eigenen Wege und landeten an Orten, die sie lieber vergessen hätte. Das Rauschen des Flusses ließ Bilder vor ihr auftauchen. Sie wartete auf das Verschwinden dieser Bilder, sie wollte endlich ihre Ruhe. Und inzwischen verging die Zeit. Ein Tag nach dem anderen, und inzwischen waren es sechs Monate geworden.
    »Kriege ich eine Juniortüte? Die kostet siebenunddreißig Kronen, und mir fehlt noch Aladdin.«
    »Ja.«
    »Und was willst du, Mama? Chicken McNuggets?«
    »Weiß noch nicht.«
    Eva starrte wieder in das schwarze Wasser hinab, beim Gedanken ans Essen wurde ihr schlecht. Sie aß überhaupt nicht sonderlich gern. Jetzt sah sie, wie sich unter dem graugelben Schaum die Wasseroberfläche hob und senkte.
    »Wir haben doch jetzt mehr Geld, Mama, wir können essen, was wir wollen, oder?«
    Eva schwieg. Sie blieb plötzlich stehen und kniff die Augen zusammen. Dicht unter der Wasseroberfläche sah sie etwas Grauweißes. Es wiegte sich schlaff hin und her und wurde von der starken Strömung ans Ufer gepreßt. Evas Augen waren so sehr mit diesem Anblick beschäftigt, daß sie die Kleine vergaß, die nun ebenfalls stehengeblieben war, und die genauer hinsah als ihre Mutter.
    »Das ist ein Mann!« rief Emma. Sie bohrte die Fingernägel in Evas Arm und machte große Augen. Einige Sekunden lang starrten beide nur die aufgedunsene, halb aufgelöste Gestalt an, die mit dem Kopf voran zwischen die Steine trieb. Der Mann lag auf dem Bauch. Sein Hinterkopf war nur schütter behaart. Eva nahm Emmas Nägel, die sich durch ihren Pullover bohrten, gar nicht wahr, sie sah nur den grauweißen Toten mit den blonden, zerzausten Haaren, und sie wußte nicht sofort, daß sie wußte, wer er war. Aber seine Turnschuhe – die hohen, blauweißgestreiften Turnschuhe … ein heftiger Blutgeschmack füllte plötzlich ihren Mund.
    »Das ist ein Mann«, sagte Emma noch einmal, jetzt leiser.
    Eva wollte schreien. Der Schrei erstickte in ihrer Kehle. »Er ist ertrunken. Der Arme, er ist ertrunken, Emma!«
    »Warum sieht er so fies aus? Fast wie Wackelpudding!«
    »Weil«, stammelte Eva, »weil das so lange her ist.«
    Sie biß sich so hart auf die Lippe, daß sie platzte. Der Blutgeschmack ließ Eva fast umsinken.
    »Müssen wir ihn aus dem Wasser holen?«
    »Nein, spinnst du! Das macht die Polizei!«
    »Rufst du die jetzt an?«
    Eva legte den Arm um die breite Schulter ihrer Tochter und stolperte mit ihr über den Weg. Gleich darauf schaute sie sich um, als erwarte sie einen Angriff. An der Auffahrt zur Brücke stand eine Telefonzelle, und Eva zog ihre Tochter hinter sich her und wühlte in ihrer Rocktasche nach Kleingeld. Sie fand einen Fünfer. Der Anblick der halbverwesten Leiche flackerte vor ihren Augen wie eine böse Vorwarnung all dessen, was jetzt noch kommen würde. Sie war nun endlich zur Ruhe gekommen, die Zeit hatte sich wie Staub über alles gelegt und die Albträume verblassen lassen. Aber jetzt hämmerte das Herz wie wild unter ihrem Pullover. Emma schwieg. Sie folgte ihrer Mutter mit verängstigten grauen Augen und blieb stehen.
    »Warte hier. Ich rufe die Polizei an und sage, daß sie ihn holen müssen. Geh ja nicht weg!«
    »Wir müssen sicher auf sie warten?«
    »Nein, das müssen wir nicht.«
    Eva ging in die Telefonzelle und versuchte, ihre Panik zu unterdrücken. Eine Lawine von Gedanken und Ideen raste durch ihren Kopf. Dann faßte sie einen schnellen Entschluß. Ihre Finger waren schweißnaß, sie

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