Der Katalysator
1
Billy
Eines Nachmittags um zehn vor fünf begann der Oszillator auf Pauls Bildschirm zu piepsen. Er drückte auf einen Knopf und schaute zu dem kleinen Monitor hoch. Es war Alec Marggold, sein Vorgesetzter in der Patentabteilung.
„Ich habe eben einen Anruf aus Chikago bekommen“, sagte der Anwalt. „Ich muß morgen früh zur Verhandlung. In ein paar Minuten muß ich zum Flughafen.“
Das war beunruhigend. „Aber was ist mit der Trialin-Besprechung mit Kussman morgen früh?“
„Das müssen Sie allein machen.“
Paul hörte, wie sein Inneres langsam zerfloß.
Marggold sah ihn nur düster an. „Sie sind neu hier. Sie haben keine Erfahrung. Das weiß ich. Aber welche andere Möglichkeit hätten wir? Die Konferenz verschieben, bis ich zurück bin? Ausgeschlossen. Wir haben sie schon einmal aus dem gleichen Grund verschoben. Einen anderen Anwalt damit beauftragen? Unmöglich. Wir würden riskieren, daß das gesamte Projekt auf ihn übertragen wird. Damit bleiben nur Sie. Ich werfe Sie den Wölfen zum Fraß vor, aber wenn Sie ein wenig aufpassen, können Sie überleben.“
Ein Sssst und ein Plop aus der Ecke, in der sich Pauls Kredenz befand, sagte ihm, daß soeben etwas in den Auffangbeutel geblasen worden war.
„Die Trialin-Perle“, bemerkte Marggold trocken. „Sie gehört Ihnen. Reden Sie wie der Teufel. Ich habe mit Johnnie Serane gesprochen. Er ist heute in Washington, aber er kommt am Abend mit der U-Bahn zurück. Er wird dabei sein und sich um Kussman kümmern.“
Johnnie Serane? Wer war denn dieser Serane? Irgendein edler Galahad der Chemie? Der Beschützer der Wehrlosen? Der weißbekittelte Retter der unerfahrenen, hilflosen jungen Patentanwälte? Er fühlte, wie Widerwille in ihm hochstieg. Er konnte selbst auf sich aufpassen. Doch dann überlegte er es sich anders. Wenn ich nun mit Kussman nicht fertig werden kann? Wenn er mich feuern läßt? Seine Kehle war plötzlich ausgetrocknet. Er durfte nichts riskieren. Johnnie Serane – wer er auch sein mochte – würde ihm mitsamt seinen freundlichen Worten höchst willkommen sein. „Ich werde neben ihm sitzen“, sagte Paul.
Marggold tat einen tiefen Zug an seiner Zigarre. „Und vielleicht wird sowieso nichts Furchtbares passieren.“ Damit unterbrach er die Verbindung.
Paul beugte sich vor, fischte die Kapsel aus dem Rezeptorbeutel und nahm die Perle heraus.
Die Trialin-Perle war ein traubengroßes Aluminium-Halbkristall, AI2O3, dem Material für Rubine und Saphire. Und es war, zumindest zu Beginn seines Lebens und trotz seiner Form, ein echtes Kristall, wie die Röntgen-Kristallographie zeigte. Jetzt aber, da man es mit ungeheuer umfangreichen Informationen über Trialin bedruckt hatte, konnte man genaugenommen nicht mehr von einem Kristall sprechen, denn die wechselnden, wunderbar geordneten Aluminium- und Sauerstoffatome waren durch einen Mikrolaser-Aufzeichnungsstrahl verschoben worden und bildeten kein regelmäßiges Laue-Muster mehr. Beim Abspielen wurde das Aufzeichnungsverfahren umgekehrt. Der einfallende Laser tastete die langsam rotierende Perle ab, und der reflektierende Strahl übertrug die internen molekularen Spannungen, welche, so moduliert, in einem Analysegerät aufgeschlüsselt und einem Projektionsschirm und/oder Lautsprecher übermittelt wurden.
Seufzend schob Paul die Perle auf die Spindel des Abspielgerätes.
Was war eigentlich so wichtig an Trialin? Weshalb dieser Wirbel? Eine interne Management-Information blitzte auf seinem Monitor auf, um seine Frage zu beantworten. Er las sie sorgfältig.
Trialin. Die Wunderchemikalie.
Seit hundert Jahren als faszinierendes,
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