Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
sicher, was er als Nächstes tun wird, aber ich nicke zustimmend. Er greift nach meinem Haar, zieht sanft eine der Rosen hervor und birgt sie in seiner Handfläche. Sie ist immer noch tiefrot, doch die Blütenblätter sind verwelkt, ihre Spitzen schon ausgetrocknet.
»Die Menschen suchen immer nach der Magie, obwohl die Natur die wahren Wunder bereithält«, sagt er, während er eine kleine Glasphiole aus seiner Tasche zieht. »Diese Blume hier ist tot. Damit wollte ich Euch nicht zu nahe treten, Mylady.« Er lächelt. »Die Rosen in diesem Garten dagegen sind immer noch sehr lebendig.«
Er öffnet die Phiole und lässt einige Tropfen daraus auf den Stielansatz der toten Rose fallen, dann hält er sie an einen dornigen Zweig des lebenden Rosenbusches. Nach ein paar Sekunden nimmt er die Hand weg, und ich atme zischend ein.
Die rote Rose aus meinem Kopfputz steht nun wieder in voller Blüte, die Blätter sind so zart wie früher.
»Magie?«, flüstere ich.
»Wissenschaft«, antwortet er.
Ich bin erstaunt und entzückt zugleich. »Es ist mir egal, wie Ihr es nennt«, erwidere ich. »Für mich ist es Magie.«
»Würdet Ihr Eure Maske abnehmen?«, fragt er und blickt mir tief in die Augen. »Ich muss wissen, wer Ihr seid.«
»Nur, wenn Ihr auch die Eure absetzt.«
Er nickt, und ich löse die Bänder, die den Schmetterlingsrahmen vor meinem Gesicht halten. Da nimmt er ebenfalls seine Maske ab, die dieselbe Farbe hat wie meine Rose.
Wir sehen uns an und sind beide überrascht.
»Seraphina«, sagt er atemlos.
»Cyrus«, entgegne ich erstaunt.
Cyrus ist der Sohn des Apothekers, und ich habe ihm schon mehr als einen verstohlenen Blick zugeworfen, wenn er und sein Vater zu Besuch kamen. Er sieht gut aus mit seinem weißblonden Haar, den markanten Wangenknochen und den lebhaften Augen. Wenn ich vom Heiraten träume, stelle ich mir oft Cyrus als Ehemann vor.
»Du bist noch hübscher, als ich es in Erinnerung hatte«, sagt er. Offensichtlich hat auch er an mich gedacht. »Hiermit gelobe ich: Ich werde deine Familie aufsuchen und bei deinem Vater vorsprechen. Und bei unserem nächsten Wiedersehen werde ich dir mehr als nur Blumen mitbringen.«
Ich kann nichts dagegen tun, dass ich über und über erröte. Ich bin überwältigt, benommen und geblendet. Der berauschende Duft der Rosen erfüllt meine Sinne, und ich schließe die Augen. Ist das mein Schicksal?
Wir bemerken die beiden Gestalten nicht, die sich uns aus den Schatten nähern: ein Mann und eine Frau in zerrissener Kleidung, die Mundpartien mit Schals verdeckt. Die Schwerter an ihrer Taille sehen dagegen gut gearbeitet und scharf aus.
»Sir!«, zischt der Mann. »Gebt mir Eure Geldbörse.«
Ich erstarre vor Angst, als Cyrus sich vor mich schiebt. »Entfernt Euch!«, befiehlt er. »Ich habe nichts für Euch.«
Der Mann zieht sein Schwert. »Dann eben die Lady.«
Auch ich habe kein Geld dabei, doch ich trage immer ein juwelenbesetztes Kreuz um den Hals, das ich nun abnehme und dem Mann reiche.
Hastig greift er danach und reißt beinahe die Kette ab. »Das ist alles?« Grunzend dreht er den Kopf und spuckt aus.
»Mehr habe ich nicht«, erwidere ich mit zitternder Stimme.
Bevor ich ihm ausweichen kann, hält er mich mit einem Arm umschlungen. Seine Zähne sind faulig, und ich kann den Alkohol in seinem Atem riechen.
»Lasst sie los!«, schreit Cyrus und eilt mir zu Hilfe.
In einer fließenden Bewegung entreißt er der Frau ihr Schwert, versetzt dem Mann einen Tritt und stößt ihm das Schwert in den Bauch. Sein Blut, übelkeiterregend warm, spritzt auf die Vorderseite meines Kleides. Wir sehen zu, wie der Körper des Schurken erschlafft.
Cyrus und ich blicken uns an, als er die Augen plötzlich erschrocken aufreißt. Zum zweiten Mal an diesem Abend verändert sich meine Welt für immer.
Zu sagen, dass der kleine Dolch der Frau meinen Rücken durchbohrt, klingt zu harmlos, so, als ob sie mir die Ohrläppchen durchstechen würde. Der Schmerz explodiert in mir. Ich fühle, wie die Klinge in mich eindringt und am Knochen entlangschabt, spüre, wie mir das Blut heiß den Rücken entlangrinnt, im Rhythmus meines Herzens aus mir hinausgepumpt wird.
Da schlägt Cyrus die Frau nieder. Sie fällt schwer zu Boden, ihr Kopf trifft hörbar auf einem Stein auf, und sie bleibt bewegungslos liegen.
Ich sinke auf die Knie und blicke hinauf in den Himmel, wo der Mond so hell scheint, als ob nicht gerade etwas Schreckliches geschehen wäre.
Cyrus umfasst mich mit
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