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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Prolog

    Die Geschichte ging so:
    „Sein Vater hatte bei einem Angriff der Russen in Charkow sein Bein verloren, als er in einen Bombentrichter sprang, um einen Kameraden zu retten. Sein Unglück war, dass eine zweite Granate, von einem russischen Panzer abgeschossen, der sich auf den Trichter zubewegte, neben ihm explodierte und ihn so schwer verletzte, dass das rechte Bein amputiert werden musste.“
    Ob es sich so abgespielt hatte, war nie herauszubekommen, denn der Vater von Stefan ließ die Geschichte vage und uneindeutig, als wollte er nichts mit ihr zu tun haben, wie sein Freund Stefan immer wiederholte, wenn Christian mehr darüber wissen wollte. So war sie also ausschließlich ihrer Fantasie preisgegeben, was ja auch den Vorteil hatte, sich die kühnsten und unwahrscheinlichsten Abenteuer auszumalen, die der Vater im Kampf gegen die Russen durchfochten hatte. Wie er zum Beispiel aus dem Kessel von Charkow entkommen war, millimeterscharf an russischen Panzern vorbeigekrochen, das zerfetzte Bein mit sich schleppend, oder wie er einmal eine kleine Gruppe russischer Soldaten in Schach gehalten hatte, die sich, als er ein Bauernhaus durchsuchte, in einem Kellergewölbe versteckt hielt, in dem es nach Kot und Urin stank. Dabei malten die beiden Jungen sich aus, dass einer der Russen ein weggeschossenes Kinn hatte, einen blutigen Schlund, aus dem Luft- und Speiseröhre hingen, und der Vater nach kurzem Zögern die Tür mit dem Stiefel zutrat, weil er wusste, dass dem nicht mehr zu helfen war.
    Der Projektion des Vaters zum Helden waren keine Grenzen gesetzt. Es gab jedenfalls keine Geschichte oder Andeutung, die der Vater darüber verlor, die das Bild von ihm hätte relativieren können. Es gab keinen authentischen Hinweis, keine Bemerkung, keine Gesten, nichts. Es gab nur das abbe Bein, die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS, kurz HIAG, und die Treffen der alten Waffen-SS-Kameraden, an denen Stefans Vater teilnahm, wie übrigens Christians Vater auch, die die Geschichte doch sehr in die Nähe einer ernst zu nehmenden Möglichkeit rückte. Trotzdem fiel die Projektion insofern dennoch schwer, als der Vater ein kleiner, dicklicher Mann war, sehr unbeweglich und meistens schlecht gelaunt, der noch zudem stark schwitzte und schnaufte, wenn er das Holzbein, seinen rechten Beinersatz, mit Schwung nach vorne warf und sich gleichzeitig hart gegen einen Stock mit Gummifuß abstützte, den schweren Körper gefährlich nach links geneigt.
    Einmal hatte Christian den Vater von Stefan vom Wohnzimmer aus schräg über den Flur im Schlafzimmer beobachtet, wie er, in Unterhemd und Unterhose, auf einem Bein balancierend, den Stumpf auf dem Handstück einer Krücke abgelegt, sich eine Art weißer Socke über das rosige, am Ende wulstig vernarbte Glied zog, einem seltsamen, wurstförmig geformtem Oberschenkel, dann in die Prothese schlüpfte, deren oberes Teilstück das hölzerne Pendant zu seinem Stumpf bildete, und mit zwei Fingern der rechten Hand in eine Ventilöffnung griff, die im unteren Teil der Prothese einen kleinen kreisförmigen, gummierten Ausgang bildete. Als er den Zipfel des Strumpfes zu fassen bekam, zog er ihn kraftvoll durch das Loch, was ein saugendes Geräusch erzeugte, ein Vakuum, das das verletzte Bein in sein Gehäuse zog. Dann schraubte er das Ventil in die Öffnung, aus der er die sich im Laufe des Tages ansammelnde Luft aus dem Prothesenkörper entweichen lassen konnte wie einen Furz. Das hatte Christian schon des Öfteren gehört und an den gleichgültigen, gänzlich unerschrockenen Mienen der anderen Familienmitglieder gemerkt, dass an diesem Geräusch nichts Peinliches war. Zum Schluss warf sich der Vater den breiten Ledergurt quer über die Schulter, der die Prothese zusätzlich hielt, und zog sich Hemd und Hose an. Er hatte nicht wahrgenommen oder ignoriert, dass Christian ihn beobachtet hatte.
    Und noch etwas war Christian aufgefallen: Der schwarze, glänzende Halbschuh, der auf dem mit einem Abrollmechanismus ausgestatteten Prothesenfuß steckte, war zwar ein wenig glatter, ohne die sich bei einem neuen Schuh nach kurzer Zeit bildenden Querfalten, aber er unterschied sich kaum von dem linken Schuh, der genauso wenig abgetragen schien, obwohl Christian den Vater von Stefan nie in anderen Schuhen gesehen hatte. Die graue Socke war mit einer messingfarbenen Reißzwecke am hölzernen Schienbein befestigt.
    Ihm wurde weiter von Stefan berichtet, dass in einem

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