Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
den Fingern durchs Haar. Seine Aura strahlt und wird immer stärker, als er zu sprechen beginnt. »Ich habe überhaupt keine Seite gewählt. Ich mag ja mit deinen Entscheidungen in jüngster Zeit nicht einverstanden sein und mich vielleicht ein bisschen distanziert haben, aber was mich angeht, haben wir nie aufgehört, Freunde zu sein. Ich meine, mal im Ernst, Haven, bisher hab ich schon deine Ballerinaphase mitgemacht, deine Popperphase, deine Gothicphase, deine Emophase und jetzt deine supergruselige Unsterbliche-Hexe-Phase.« Er zuckt lässig die Schultern und sieht sich kurz um. »Und ich bin immer noch da. Erstens hab ich dich noch nicht aufgegeben, und zweitens bin ich viel zu neugierig, um zu sehen, welche Rolle du als Nächstes spielen willst.«
Sie verdreht die Augen. »Tja, tut mir leid, wenn ich dir das so sagen muss, Miles, aber es gibt keine nächste Phase. Ob es dir passt oder nicht, das war’s. Das ist die neue, optimierte und endgültige Version von mir. Ich hab mich total selbst verwirklicht. Ich bin genau das, wofür ich ausersehen war.«
Miles schüttelt den Kopf. »Ich wünschte wirklich, du würdest dir das noch mal überlegen. Oder schau wenigstens mal in einen Spiegel.«
Doch sie ignoriert die Worte geflissentlich und wendet sich stattdessen an Damen. »So, Damen Auguste Esposito.«
Sie grinst fratzenhaft und spricht ihn mit einem Namen an, der ihm nach der Ermordung seiner Eltern gegeben wurde. Ein Name, den er seit seiner Zeit im Waisenhaus trug, wo er lebte, bis die Pest über die Gegend kam, vor der er sich retten konnte, indem er das Elixier braute. Ein Name, den er seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr benutzt, und selbst ich brauche einen Augenblick, um ihn zu erkennen. »Ich weiß alles über dich. Ich bin nicht sicher, ob Ever es je erwähnt hat, aber Roman hat sehr gute Aufzeichnungen geführt, sehr detaillierte Aufzeichnungen. Und, na ja, sagen wir einfach, du warst ein sehr, sehr böser Junge, nicht wahr?«
Damen zuckt die Achseln und ringt um eine ungerührte Miene, um seine Gefühle zu verbergen. »Ich habe dir Elixier mitgebracht. An der Tür steht eine große Kiste davon, und glaub mir, du kannst noch viel mehr haben. Also komm doch einfach mit und sieh’s dir an, okay? Du kannst es auch gleich probieren, wenn du willst.«
»Warum ersparst du mir die Mühe nicht und bringst es her?« Sie klimpert mit den Wimpern und versucht, so zu lächeln wie früher – süß, charmant, kokett und mit einem Hauch liebenswerter Schrulligkeit. Doch sie ist so weit entfernt von ihrem alten Ich, dass es stattdessen nur schaurig wirkt. »Wie du siehst, bin ich hier gerade beschäftigt. Ever und ich haben die Einzelheiten eines kleinen Handels besprochen, den wir geschlossen haben, und falls ich mich nicht irre, bedeutet die Tatsache, dass sie dich herbeigerufen hat, dass sie mir nicht mehr vertraut. Was irgendwie ein Witz ist, wenn man bedenkt, dass sie mich nicht nur so gemacht hat, sondern sie nach allem, was ich in Romans Aufzeichnungen gesehen habe, auch wirklich keinen guten Grund hat, dir zu vertrauen, oder?«
»Es reicht mit Romans Tagebüchern«, sage ich und will
unbedingt das Thema wechseln. »Ich weiß alles , Haven. Es ist nichts mehr übrig, womit du uns in der Hand hättest, also spar dir doch einfach …«
»Bist du dir da sicher?« Ihre Blicke schießen zwischen uns hin und her, als wüsste sie etwas, was ich nicht weiß, und könnte es gar nicht erwarten, es auszuplaudern. »Du weißt über seine Vergangenheit mit Drina Bescheid? Wie er seinen eigenen Tod bei einem Brand vorgetäuscht hat? Über das kleine Sklavenmädchen, das er seiner Familie gestohlen hat? Das weißt du alles?« Sie mustert uns einen nach dem anderen, Jude eingeschlossen.
»Sie weiß es.« Damen sieht Haven an. »Und übrigens, ich habe das kleine Sklavenmädchen nicht gestohlen , sondern sie gekauft , um sie freizulassen . Leider war das damals so. Es war ein sehr finsteres Kapitel in unserer Geschichte. Aber ich glaube nicht, dass du dich wirklich so besonders dafür interessierst, das alles noch mal durchzukauen. Also verschwende bitte unsere Zeit nicht noch weiter mit diesem Unsinn. Lass Jude los und gib das Hemd her. Jetzt.«
» Jetzt ?« Sie stutzt und zieht eine Braue hoch. »O nein, ich glaube nicht, dass ich das jetzt tun werde oder überhaupt irgendwann. So läuft das Spiel hier nicht. Ja, das würde sogar so ziemlich gegen sämtliche Regeln verstoßen. Und da du erst so spät zu unserer
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