Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
nie der Fall gewesen. Du bist dazu geboren worden, dich den Untoten anzuschließen. Das ist deine Natur. Das bist du, und das ist der Grund, warum du hier bist. Mir dafür die Schuld zu geben ist wirklich albern.«
»Ich glaube, du bist schon so lange tot, dass du vergessen hast, was es heißt, lebendig zu sein.«
Maxie legte den Kopf schräg. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber dir wird es auch so ergehen.«
Ich sollte vergessen, wie es war, am Leben zu sein? Niemals. Die Erinnerung an das Leben aufzugeben würde bedeuten, so viele wunderbare Dinge zu vergessen; und es würde heißen, Lucas zu vergessen. Und das würde nie geschehen. »Du hast gesagt, du kannst mir helfen. Ich schlage vor, du beweist mir das jetzt.«
»Gut.« Maxie deutete auf die Kommode, in der ich meine Sachen aufbewahrte. »Hol dein Korallenarmband.«
»Was hast du nur immer mit meinem Schmuck?«
»Hol dein Armband, und du wirst es sehen.«
Wie sollte ich ihrer Meinung nach irgendetwas in die Hand nehmen? Es war ja nicht so, dass ich noch richtige Hände gehabt hätte; mir war nur noch die Illusion davon geblieben. Ich hatte vor, Maxie zu zeigen, wie dumm ihr Vorschlag war, und steckte meine Hand in die offenstehende Schublade… und spürte das Silber und die Korallen wunderbar fest unter meinen Fingerspitzen. Ich hob das Armband hoch und starrte auf das verschwommene Spiegelbild im Glasfenster der Mikrowelle: ein schimmerndes, bläuliches Licht, in dessen Mitte das Armband baumelte, offenbar in der Luft schwebend. Ich war zu überrascht, um auch nur ein einziges Wort zu sagen.
Mit einem zufriedenen Grinsen warf Maxie ihr blondes Haar zurück. »Hab ich dir doch gesagt.«
»Wie ist das möglich?«
»Materielle Gegenstände, zu denen wir einen starken Bezug hatten, ehe wir starben – wie zum Beispiel die Tür zu unserm Haus oder ein Tagebuch oder in deinem Fall ein Schmuckstück, das dir viel bedeutet hat –, verbinden uns mit der wirklichen Welt. Du hattest außerdem Glück, dass es sich um Korallen handelt. Korallen gehören zu den mächtigsten Materialien für uns, denn wir haben etwas gemeinsam. Kannst du dir vorstellen, was ich meine?«
»Einst waren wir beide am Leben.« Ich berührte die rote Koralle und stellte mir das Leben unter dem Meer vor, das sie vor wer weiß wie langer Zeit geführt hatte.
Maxie sah nicht sonderlich erfreut aus, dass ich richtig geraten und ihr die Pointe gestohlen hatte. »Nun ja. Wir alle können solche Dinge und Orte nutzen. Und da du ein geborener Geist bist, einer der reinsten Geister, wird es bei dir, denke ich mal, besonders gut klappen. Mit ein bisschen Übung könntest du in der Lage sein, etwas mit diesem Armband zu tun. Verstehst du jetzt, warum ich dir gesagt habe, du sollst nicht zulassen, dass Lucas es zusammen mit dir begräbt? «
»Danke.« Zum ersten Mal war meine Dankbarkeit vollkommen ehrlich. Doch anstatt deswegen aufzutrumpfen, senkte Maxie den Blick und sah beinahe beschämt aus.
»Was meist du mit etwas tun ?«
»Ich habe gehört, dass Geister wie du … Tja, du könntest in der Lage sein, deine körperliche Gestalt zurückzubekommen, wenigstens für kurze Zeit. Vermutlich braucht es eine Menge Übung, aber …«
Ich blendete Maxies Stimme aus, während ich mich mit aller Macht auf das Armband in meiner Hand konzentrierte. Ich dachte daran, wie Lucas es mir geschenkt hatte, und an die Liebe zwischen uns an diesem Tag. Das ließ die Steine noch realer für mich erscheinen. Zunächst zwang ich all meine Stärke in die Hand, die den Armschmuck hielt, und zu meiner Überraschung erschien diese Hand im Spiegelbild. Wie ein warmer Schauder breitete sich dieses Gefühl des Körperhaften überall in mir aus, und dann stand ich dort, mein Spiegelbild ein identisches Abbild der lebendigen Bianca, die ich vor einigen Tagen noch gewesen war, wenn auch ein bisschen blasser. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich gegen die Wand schlug und den Aufprall hören konnte. Dann zog ich an den Decken auf dem Bett, die gehorsam herunterrutschten.
»Also, das ging ja schnell«, stellte Maxie unzufrieden fest.
»Ich habe einen Körper.« Ich lachte und spürte das Lachen. Nein, es war nicht, als wäre ich wieder lebendig. Es war keine Freude und keine Wärme in diesem Körper, und ich wusste, dass er nicht mehr mein Zuhause war. Aber wenigstens hatte ich wieder etwas Fassbares. Wenn Lucas hier gewesen wäre, hätte ich ihn umarmen und küssen können, und wir hätten uns wie
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