Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
es wenigstens irgendetwas, an das ich mich klammern konnte. »Jede Nacht«, versprach ich ihm. »Ich werde jede Nacht hier auf dich warten.«
»Das ist nicht genug. Ich brauche dich. Lass das kein Traum sein.«
Die Realität um uns herum verschwand von einem Moment auf den anderen. Wieder einmal schien ich unmittelbar unter der Decke zu schweben und auf Lucas hinabzuschauen, dessen Augen sich gerade geöffnet hatten. Er schnitt eine Grimasse und strich sich mit einer Hand übers Gesicht. In gewisser Weise sah er sogar noch müder aus, als es am Morgen der Fall gewesen war.
»Bianca? Bist du hier?«, fragte er. Ich konnte ihm nicht antworten, aber er verstand auch so. »Du wirst immer hier sein, nehme ich an. Nur viel zu weit weg, als dass ich dich berühren könnte.«
In seinen Träumen bei ihm zu sein, das würde mir zwar ein bisschen Trost spenden, aber es würde Lucas nur quälen. Er würde sich nicht genauso an diese Erfahrungen klammern, wie ich es konnte. Mehr noch: Ich war mir nicht sicher, wie ich ihm begreiflich machen sollte, dass unsere Zweisamkeit im Traum real war. Wenn ich ihn jede Nacht besuchte, würde ich nichts anderes bewirken, als dass er beim Aufwachen die Trauer um mich wieder und wieder neu durchleben würde.
Lucas rollte sich zur Seite und klopfte auf das Kissen unter seinem Kopf, um mehr Stütze zu haben. »Ich habe von dir geträumt«, sagte er. »Ich war in einem Buchladen und habe versucht, dich zu finden … Ich erinnere mich nicht mehr, wie … Gott, es entgleitet mir schon. Aber du warst da. Dass du tot warst, war nur ein großer Irrtum, und ich konnte dich wieder in den Armen halten. Großartiger Traum … bis ich aufgewacht bin.«
Mit einem Seufzer strampelte er die Laken weg und erhob sich vom Fußboden. Er bewegte sich steif, und ich wusste, dass ihm alles wehtun musste. Gerade als er eine Safttüte aus dem Minikühlschrank nehmen wollte, hörte ich draußen Schritte. Lucas ging zur Tür und öffnete, noch ehe Balthazar hatte klopfen können.
Anstatt Hallo zu sagen oder Wie geht’s ? zu fragen, verkündete Balthazar: »Du hattest recht mit Charity.«
»Ganz was Neues: Als ob ich das nicht schon gewusst hätte.« Lucas’ Seitenhiebe auf Balthazar waren nicht mehr so zornig, aber offenbar bedeutete das noch nicht, dass er sie einstellen würde. »Du hast sie gefunden?«
»Ich habe jemanden ausfindig gemacht, der sie kennt. Was bedeutet: Charity wird bald erfahren, dass ich in Philadelphia bin, wenn sie es nicht schon weiß.«
»Du hast den Vampir entkommen lassen, damit er den Boten spielt?« Lucas nahm einen tiefen Schluck Saft direkt aus der Tüte. »Nicht sehr klug.«
Balthazar blickte finster. »Ich pfähle die Leute nicht beim leisesten Anzeichen, dass sie Probleme machen könnten, was einer der vielen Unterschiede zwischen uns ist.«
»Ich schätze, das bedeutet, dass du abhauen musst, was?«
»Ich renne vor keinem Kampf davon«, sagte Balthazar. »Und ich liefere meine Schwester nicht dieser Art von Existenz aus.«
»Niemand zwingt sie, sich so zu benehmen«, sagte Lucas und stellte den Saft wieder zurück in den Kühlschrank. »Das solltest du doch inzwischen wissen. Oder wusstest du es schon die ganze Zeit?«
Balthazar beantwortete diese Frage nicht. »Wenn ich Charity von ihrem Clan trennen kann, dann wird sie sich wieder fangen.« »Und was willst du tun? Sie ein Jahrhundert lang in einen Raum einsperren, bis sie mit dir einer Meinung ist?«
»Ja.«
»Mann, eure Beziehung ist wirklich schräg.«
»Hast du eine bessere Idee, wie ich mit ihr umgehen soll?«, fragte Balthazar. »Ihr einen Pflock in die Brust zu jagen, Mann, das ist doch keine Option.«
»Sagst du.« Lucas holte tief Luft. »Dann willst du also meine Hilfe dabei, sie einzufangen?«
Balthazar gefiel es offenkundig gar nicht, Lucas um Hilfe bitten zu müssen, aber er nickte. »Du kannst dich in einem Kampf behaupten. Und Charity wird nicht erwarten, dass wir beide zusammenarbeiten. Wir sollten uns das Überraschungsmoment zunutze machen.«
»Wann?«
»Sie wird sich auf den Weg machen, wenn die Sonne untergeht. Also in einigen Stunden.« Wie alle Vampire konnte auch Balthazar spüren, wie lange es noch bis zum Sonnenaufgang oder -untergang dauern würde. »Je eher wir aufbrechen, desto besser.«
Lucas durfte in dieser Nacht nicht nach Charity suchen. Eigentlich wünschte ich mir, er würde sich überhaupt nie auf diese Suche begeben. Sie war zu gefährlich, und egal, was für ein guter
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