Ewiger Schlaf: Thriller
und das brüllende Lärmen der Pumpen und Generatoren rollte über die Sandbank und den kilometerbreiten Fluss hinweg wie Pattons Panzer, als sie zum Rhein gerollt waren.
Waters’ Herz schlug höher, als er sich dem Bohrturm näherte. Dies war seine sechsundvierzigste Ölquelle, aber der Nervenkitzel war nicht verflogen. Der Bohrturm vor ihm war ein greifbares Symbol für seine Willensstärke. Früher hatte es siebzig Ölfirmen in Natchez gegeben, jetzt gab es noch sieben. Hinter dieser schlichten Statistik verbargen sich mehr Seelenqual und zerbrochene Träume, als Worte es beschreiben konnten – sie resümierte den Niedergang einer Stadt. Herbe Rückschläge waren eine Art Lebensstil in der Ölbranche, aber die letzten acht Jahre waren besonders hart gewesen. Nur die zähesten Unternehmer hatten überlebt, und Waters war stolz, dass er zu ihnen gehörte.
Er lenkte den Wagen auf eine Straße aus frisch aufgehäufter Erde, die vor zehn Tagen noch nicht existiert hatte. An dieser Stelle hatte man nichts weiter hören können als die Grillen und den Wind, nichts weiter sehen können als das Mondlicht, das sich im Fluss spiegelte. Vielleicht hatte eine lange Reihe flacher Lastkähne, die hier den Fluss entlang geschoben wurden, die weiße Gischt sanft ans Ufer getrieben, und das Land hatte noch so unberührt gewirkt wie in jenen längst vergangenen Zeiten, als es noch keine Menschen auf Erden gab. Vor sieben Tagen jedoch waren die Bulldozer gekommen – auf Waters’ Geheiß. Und die Männer. Jedes Tier im Umkreis von vielen Kilometern wusste, dass etwas geschah. Die Dieselmotoren, von denen die riesenhaften Maschinen am Bohrturm angetrieben wurden, waren angelassen worden und seither nicht mehr verstummt, während Männer rund um die Uhr daran arbeiteten, den Bohrkopf weiter und weiter hinunterzutreiben, bis in jene Tiefe, in der John Waters ihn haben wollte.
Eine Ölquelle anzubohren bedeutete unterschiedliche Dinge für unterschiedliche Menschen. Selbst für Waters, der über zahllosen Karten und Büchern mit Messdaten gebrütet und die versteckten Sandvorkommen kartografiert hatte, hatte es unterschiedliche Bedeutungen. Zunächst einmal war es Wissenschaft. Zweieinhalbtausend Meter unter diesem Land gab es Öl, doch eine einfache Möglichkeit, herauszufinden, wo genau sich dieses Öl befand, gab es nicht – nicht einmal mithilfe der unbezahlbaren Technologie, die Firmen wie Exxon oder Oxy Petroleum zur Verfügung stand. Letztlich musste immer noch jemand ein Loch durch zahllose Schichten aus Erde, Sand, Schiefer, Kalkstein und Braunkohle bohren – bis hinunter zu dem weichen Sand, der manchmal das ansonsten wandernde Öl einschloss, das vor sechzig Millionen Jahren das Oberflächenleben des Planeten gewesen war. Und zu wissen, wo man dieses Loch bohren musste, war eine Lebensaufgabe.
In den Vierziger- und Fünfzigerjahren war es nicht so schwer gewesen. Damals war in Adams County reichlich Öl vorhanden, und es gab viele Burschen, die mehr Mut als Verstand besaßen; sie hatten bloß Geld zusammengekratzt, an irgendeiner Stelle gebohrt, bei der sie »so ein Gefühl« hatten, und nicht selten das große Los gezogen. Aber diese Zeiten waren vorüber. Adams County hatte jetzt mehr Löcher als das Nadelkissen einer Großmutter, und die ergiebigsten Ölfelder waren bereits entdeckt und ausgebeutet worden. Das zumindest besagte das konventionelle Wissen. Waters und ein paar andere waren jedoch der Ansicht, dass es noch ein oder zwei bedeutende Felder gab. Keine wirklich großen Vorkommen nach saudischen Maßstäben oder im Vergleich zu dem, was man vor der Küste der USA finden konnte, aber doch ausreichend, um einem Jungen aus Mississippi mehr Geld einzubringen, als er jemals in seinem Leben ausgeben könnte. Genug, um seine Erben und Nachfolger für alle Ewigkeiten zu versorgen. Aber diese Ölfelder – falls sie existierten – waren nicht leicht zu finden. Kein Wildcat-Ölbohrer würde seine F-150 parken, in einem Sojabohnenfeld Wasser lassen und dann plötzlich mit religiöser Inbrunst rufen Hier ist es!, bevor die ganz große Quelle zu sprudeln begann. Man brauchte dafür Wissenschaftler wie Waters, und das war einer der Gründe, warum er weitermachte.
Seine andere Motivation war simpler, aber auch ein wenig peinlich einzugestehen: eine jungenhafte Faszination für die Schatzsuche. Denn an einem gewissen Punkt endete die Wissenschaft, und man musste sich auf sein Gefühl verlassen: Man malte einfach ein X
Weitere Kostenlose Bücher