Ex en Provence
kurz vor Schluss.
Nein, Hugh ist wahrscheinlich politisch irgendwie engagiert, Aktivist bei Amnesty International oder bei … genau … Greenpeace, das passt! Ich kann ihn mir hervorragend an den Zaun eines Atomkraftwerks gekettet vorstellen. Oder an der Bordwand eines Walfang-Schiffes hängend: in einem dunkelblauen Rollkragenpulli, mit vom Wind zerzausten Haaren, sonnengebräunter Haut und fest entschlossen, Tiere, die Natur, ach, eigentlich die ganze Welt zu retten.
Hugh setzt sein konspiratives Telefongespräch fort. Und ich versuche, diskret in eine andere Richtung zu blicken und mich vom jüngsten Beweis meiner mangelnden Schlagfertigkeit zu erholen. Diese Kirsch-zum-Dessert-Geschichte war ja wohl Frontal-Flirten auf Französisch, wenn ich das richtig durchschaue. Dabei ist Diskret-Anbändeln nicht einmal auf Deutsch meine wirklich ganz große Stärke.
Pünktlichkeit, Ordnung, Disziplin (solange es nicht ums Essen geht) – mit so ein paar mehr oder weniger nützlichen Tugenden kann ich durchaus aufwarten. Aber Flirttalent? Fehlanzeige! Wäre mir mein künftiger Exmann auf einer Party, im Supermarkt, Chatroom oder sogar beim Speed-Dating über den Weg gelaufen, wäre nie etwas aus uns geworden.
Aber Ralph und ich hatten jahrelang Wand an Wand in derselben WG gelebt, wir waren das ewige Harry-und-Sally-Paar. Und solange es sich wirklich um eine rein platonische Freundschaft handelte, war auch alles bestens. Okay, manchmal war es schon ein komisches Gefühl, wenn Ralphs neuste Eroberung mehr oder weniger glücklich am WG -Frühstückstisch saß. In der Rückschau war dieser regelmäßige, aber eher reflexartige Anflug von Eifersucht wohl einer der Gründe, warum ich hinterher so schnell davon überzeugt war, in Ralph die Liebe meines Lebens gefunden zu haben. Zu WG -Zeiten verlief ja auch noch alles in geordneten Bahnen, und anders als bei Harry und Sally gab es bei uns auch keinen Sex aus Versehen.
Alles war okay, aber nur so lange, bis wir irgendwann noch blöder dastanden als Harry und Sally am Schluss des Films, als niemand weder mit dem einen noch mit dem anderen Silvester feiern wollte. Und bei uns ging es nicht nur um die traditionell seit Anfang November bohrende Frage, wo man denn nun am besten ins neue Jahr torkeln sollte.
Bei uns ging es um jeden Samstagabend, der ja eigentlich bei angesagten Leuten dem Kino-, Konzert-oder Theaterbesuch, dem guten Essen und ab und zu dem ausgelassenen Feiern mit Freunden gewidmet sein sollte. Aber eben mit Freunden . Mit vielen Freunden. Und genau das war das Problem.
Schließlich hatten urplötzlich praktisch alle unsere Freunde an buchstäblich jedem Samstag dasselbe zu tun wie auch am Sonntag, Montag, Dienstag und so weiter, nämlich Lukas, Anna, Jonas, Laura oder Leon in den Schlaf zu wiegen, für sie Fläschchen zuzubereiten, sie zu stillen oder der erschöpften Mutter das passende Kissen unterzuschieben. Zu den Lieblingsbeschäftigungen unserer »Freunde« gehörte auch, Lukas, Anna, Jonas, Laura oder Leon im Schlaf zu bewundern, alternativ Nervenzusammenbrüche zu managen, Augenränder und Sorgenfalten zu betrauern, intensiv Jako-o-Kataloge zu studieren, nicht zu vergessen die Internetseite von Stiftung Warentest nach dem energiesparendsten Fläschchenwärmer, dem ökologisch unbedenklichsten Babyfon und dem überzeugendsten Autokindersitz mit Isofix-System zu durchforsten.
Tja, Ralph und ich konnten da höchstens theoretisch mitreden. Auch waren wir in der Zwischenzeit zu den Dinosauriern unserer Studenten- WG mutiert – akut vom Aussterben bedroht, da sich mittlerweile drei Erstsemester zu uns in die geräumige Fünf-Zimmer-Altbauwohnung gesellt hatten und nur darauf warteten, unsere beiden Zimmer endlich an Gleichaltrige weiterreichen zu können.
Diese Schicksalsgemeinschaft allein reichte natürlich noch nicht für die Beziehung, aus der Jule hervorgehen sollte. Aber wie es der Zufall wollte, wurden wir beide gerade von unseren jeweiligen Partnern getrennt: Mein damaliger Freund verabschiedete sich für ein Jahr nach Japan, was seine Karriere ganz entschieden beschleunigen sollte. Selbstredend ging er schweren Herzens und wollte mich auch zum Mitkommen überreden, aber dafür reichte meine Zuneigung dann doch nicht. Zumal ich gerade mitten im Referendariat steckte.
Natürlich wollten wir – ganz im Trend – mit einer Fernbeziehung reüssieren, und anfangs machten wir die Telekom auch noch ein großes bisschen reicher. Aber schon bald meldete
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