Limit
2. AUGUST 2024
[PROLOG]
EVA
I want to wake up in a city that never sleeps –
Der gute alte Frankieboy. Unerschüttert vom urbanen Wandel, solange es nach dem Aufwachen nur einen zu kippen gab.
Vic Thorn rieb sich die Augen.
In 30 Minuten würde das automatische Wecksignal die Frühschicht aus den Betten treiben. Streng genommen konnte es ihm egal sein. Als Kurzzeitbesucher war er weitgehend frei in seiner Entscheidung, wie er den Tag verbringen wollte, nur dass sich auch Gäste einem gewissen formalen Rahmenwerk anzupassen hatten. Was nicht zwangsläufig bedeutete, früh aufstehen zu müssen, doch geweckt wurde man auf jeden Fall.
If I can make it there,
I'll make it anywhere –
Thorn begann sich loszuschnallen. Weil er allzu ausgiebige Bettruhe als verwahrlosend empfand, vertraute er sich keinem anderen Automatismus an als dem eigenen, um möglichst wenig Zeit seines Lebens schlafend zu verbringen. Zumal er selbst entscheiden wollte, wer oder was ihn zurück in die Bewusstheit rief. Thorn liebte es, seine Systeme von Musik hochfahren zu lassen. Eine Aufgabe, die er vorzugsweise dem Rat Pack zukommen ließ, Frank Sinatra, Dean Martin, Joey Bishop, Sammy Davis junior, den räudigen Helden vergangener Epochen, zu denen er eine beinahe romantische Zuneigung pflegte. Dabei wäre nichts, aber auch gar nichts an diesem Ort den Gepflogenheiten des Rat Pack entgegengekommen. Selbst Dean Martins berühmt gewordene Feststellung Ein Mann ist so lange nicht betrunken, wie er auf dem Boden liegen und sich dabei irgendwo festhalten kann erlebte in der Schwerelosigkeit ihre physikalische Außerkraftsetzung, ganz zu schweigen davon, dass die Begeisterung des großen Trinkers, an einem Ort wie diesem nicht vom Barhocker fallen zu können, beim anschließenden Versuch, hinaus auf die Straße zu torkeln, schlagartig geendet hätte. 35786 Kilometer über dem Erdboden warteten keine Nutten vor der Tür, sondern nur todbringender, luftleerer Raum.
Top of the list, king of the hill –
Thorn summte die Melodie mit, nuschelte ein schief klingendes New York, New York. Mit kaum nennenswertem Muskelzucken stieß er sich ab, entschwebte seiner Koje, ließ sich zu dem kleinen, runden Sichtfenster seiner Kabine tragen und sah nach draußen.
In der Stadt, die niemals schlief, begab sich Huros-ED-4 auf den Weg zu seinem nächsten Einsatz.
Weder kümmerte ihn die Kälte des Weltraums noch das Fehlen jeglicher Atmosphäre. Tag und Nacht, deren Aufeinanderfolge sich in solch immenser Entfernung zur Erde ohnehin mehr auf Vereinbarungen gründete als auf sinnliches Erleben, besaßen für ihn keine Gültigkeit. Sein Weckruf erfolgte in der Sprache der Programmierer. Huros-ED stand für Humanoid Robotic System for Extravehicular Demands, die 4 reihte ihn ein in weitere 19 seiner Art – je zwei Meter groß, Oberkörper und Kopf durchaus menschenähnlich, während die überlangen Arme im Zustand der Ruhe an die zusammengelegten Greiforgane einer Gottesanbeterin erinnerten. Bei Bedarf entfalteten sie sich zu bewundernswerter Beweglichkeit, mit Händen, die äußerst diffizile Operationen durchführen konnten. Ein zweites, kleineres Paar Arme entsprang der breiten, mit Elektronik vollgestopften Brust und diente der Assistenz. Dafür fehlten die Beine völlig. Zwar verfügte der Huros-ED über Taille und Becken, doch wo beim Menschen die Oberschenkel begannen, sprossen flexible Greifer mit Ansaugvorrichtungen, sodass er sich Halt verschaffen konnte, wo immer er gerade gebraucht wurde. Während der Pausen suchte er eine geschützte Nische auf, koppelte seine Akkus an die Stromversorgung, füllte die Tanks seiner Navigationsdüsen mit Treibstoff und ergab sich der Kontemplation der Maschine.
Inzwischen lag seine letzte Ruhephase acht Stunden zurück. Seitdem war Huros-ED-4 mit großem Roboterfleiß an den unterschiedlichsten Stellen der gigantischen Raumstation gewesen. In den Außenbezirken des Dachs, wie der dem Zenit zugewandte Teil genannt wurde, hatte er geholfen, in die Jahre gekommene Solarpaneele gegen neue auszutauschen, in der Werft Flutlichter für Dock 2 justiert, wo eines der Raumschiffe für die geplante Mars-Mission entstand. Danach hatte man ihn 100 Meter tiefer zu den wissenschaftlichen Nutzlasten beordert, die entlang der Mastausleger befestigt waren, mit der Aufgabe, die defekte Platine eines Messgeräts zur Oberflächenabtastung des Pazifischen Ozeans vor Ecuador zu entnehmen. Nach erfolgter Rekonditionierung lautete
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