Ex en Provence
bisher nicht übers Herz gebracht, seine Chloé über die Einzelheiten des tragischen Todesfalls aufzuklären. Also dass ihre Mutter längst über alle Berge war, als sie starb. Er findet sicher, dass sie noch zu jung ist, um die volle Wahrheit zu kennen. Und die Kleine hat wohl bisher nicht akzeptieren können, dass ihre Maman nicht mehr lebt. Schrecklich, nicht wahr?«
»Ja. Und deshalb die Geschichte mit der Kutsche, mit der die Mutter verschwunden ist. Ich verstehe.«
»Ja, meine Liebe. Und dann soll da ja diese junge Dame sein. Über die weiß ich aber nicht viel. Sie soll jetzt öfter mit der Leroy-Tochter gesehen worden sein.«
Noémi, die schweigsame Schönheit an Erics Hals …
»Das stimmt.«
»Ach, das wird wohl nur die Babysitterin sein«, vermutet Madame Croizet, und ich meine, einen aufmunternden Ton zu hören. »Oder so etwas Ähnliches?«
Ja, so etwas Ähnliches wohl. Die kenne ich.
Ich zucke mit den Schultern.
»Ach, meine Liebe, ich rede schon wieder viel zu viel. Haben Sie denn schon gehört, dass unser ›Casino‹ geschlossen hat? Für drei Wochen! Seit heute Morgen. Stellen Sie sich das mal vor. So lange hat Jean-Claude noch nie Ferien gemacht. Wir wundern uns alle. Und so plötzlich. So, jetzt lasse ich Sie aber wirklich in Ruhe. Wenn Sie irgendwie Hilfe brauchen, ich meine, wegen dieser lästigen Briefe, melden Sie sich, d’accord?«
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L’Etat de la France
Madame
Anja Kirsch
1, Place du Marché
13577 L’Oublie-en-Provence
Vorladung
Sehr geehrte Madame Kirsch,
Sie haben die Frist zur Registrierung und Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung verstreichen lassen. Bitte finden Sie sich am Mittwoch, 1. Dezember, im Rathaus von L’Oublie-en Provence ein.
Mit besten Empfehlungen,
i.A. Chantal Chevalier
Jean-Pierre Pommery, Bürgermeister
Ist Chantal etwa diese Empfangsdame, die ich mit meiner Säuglingsbestellung verschreckt habe? Vielleicht brauche ich wirklich Hilfe. Ob allerdings Bernadette, die Bäckerin, die Richtige dafür ist?
École Polyglotte
Madame
Anja Kirsch
1, Place du Marché
13577 L’Oublie-en-Provence
Kündigung
Sehr geehrte Madame Kirsch,
Sie sind am Freitag unentschuldigt Ihrem Dienst ferngeblieben. Da ich Sie bereits wegen eines anderen Vergehens abgemahnt habe, ist Ihnen hiermit gekündigt.
Hochachtungsvoll
Augustine Guillotin
Direktorin
Tatsächlich: Gefeuert!
Ich lasse mich an meinem Küchentisch nieder. Das war dann wohl das frühzeitige Ende meines Aussteiger-Jahrs in Frankreich. Ausgerechnet jetzt, da Jule sich so gut eingelebt hat. Wie soll ich ihr bloß klarmachen, dass wir wieder nach Berlin zurückgehen? Ihr wird Chloé fehlen, und mir …
Eine gedämpfte Musik schreckt mich aus meinen Gedanken. Es hört sich an wie der Klingelton eines Handys. Irgendwie klassisch. Das ist doch, genau: die Europahymne! Auf Philippes Handy. Sollte er es etwa hier liegengelassen haben?!
Ich mache mich auf die Suche und habe offenbar die richtige Fährte aufgenommen. Beethoven im Digitalsound wird nämlich immer lauter. Doch jetzt verstummt die Musik plötzlich. Der Anrufer hat aufgegeben. Mist.
Aber, Moment mal, da ist es ja! Es muss Philippe bei der Abschiedsküsserei mit meiner Mutter aus der Manteltasche gefallen sein. Jedenfalls liegt es im Eingangsbereich im Topf meiner halbtoten Palme. Ich entschuldige mich mental bei Beethoven und stopfe das Handy ganz tief in die Erde. Die Pflanze muss ich auch bald mal auf den Müll bringen.
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Am Nachmittag, zum Schulschluss
Vor Jules Klasse
»Mama?« Jule blickt mich erstaunt an, als sie aus ihrer Klasse kommt. »Was willst du denn hier?«
»Hallo Julchen. Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Und bald kann ich ganz oft zur Schule kommen, so ohne Arbeit …
»Komm, Jule, zu Hause müssen wir mal was besprechen, okay?«
»Aber ich dachte, dass Oma mich abholt.«
Ich auch. Bis vor einer halben Stunde.
»Oder Tante Betty.«
Hm.
»Oma hat angerufen, dass sie sich verspätet. Sie ist noch in der Stadt unterwegs, kommt aber gleich bei uns vorbei. Und Bettina ist schon wieder in Frankfurt. Sie ist heute Morgen abgereist, als du in der Schule warst.«
»Waaaas? Aber ich habe doch noch gar nicht mit ihr Tischfußball gespielt.«
Wir nähern uns jetzt dem Schultor. Ich habe Jule tröstend den Arm um die Schultern gelegt, dabei könnte ich eigentlich ganz gut selbst einen gebrauchen.
»Ach, Julchen, Bettina kommt bestimmt bald mal wieder.«
»Weil sie jetzt Philippe heiraten …«
»Schluss mit
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