Extraleben - Trilogie
legen sofort los. Plötzlich ist es, als ob das Hirn den Autopiloten reaktiviert hat. Alle alten Moves gehen ohne nachzudenken von der Hand. Kurz den Competition-Pro-Joystick gegen die Laufrichtung legen, gleichzeitig Feuer drücken, und schon köpft Conan der Barbar seinen Gegner - ein netter Dreh, der dem Game damals eine Indizierung beschert hatte und den Titel gleichzeitig zum Favoriten auf dem Schulhof machte. Verboten war immer gut. Doch anders als damals reicht unsere Geduld schon lange nicht mehr dafür aus, das Spiel länger als einen Level durchzuhalten. Mit halber Energie hacken wir ein paar Runden auf uns ein, drücken dann aber schnell auf Run-Stop und Restore, um den Rechner in den Startzustand zu versetzen und eine neue Diskette einzulegen. Als wenn wir wüssten, dass sich morgen früh die Magnetschicht der Floppys endgültig auflöst, fressen wir uns durch die Klassiker: Movie Monsters, Commando, G.I.Joe, dazwischen immer wieder Synthie-Versionen damals angesagter Charthits wie »Big in Japan« von Alphaville. Und Porno, Porno ohne Ende, oder besser gesagt: das, was man damals für Porno hielt, nämlich mit drei Graustufen eingescannte Bildchen aus dem Playboy. Wie völlig unschuldig wir damals waren, wird uns spätestens klar, als wir ein Programm namens »Gigadildo« finden, das abwechselnd die Worte »Schwanz« und »Saftmoese« in verschiedenen Farben auf den Bildschirm druckt. Mehr nicht. Angesichts moderner Pornografie aus dem Netz wäre uns damals wahrscheinlich der Kopf geplatzt, wie dem Typen in dem Horrorfilm Scanners. Passend dazu finden wir eine Art Proto—Moorhuhnjagd mit dem falsch geschriebenen Titel Commando Lybia , die sich schon im Vorspann als »Sadism Game of the Year« lobt. Tatsächlich verspricht der Autor, ein deutscher Herr Pfitzner, da nicht zu viel: Bei dem Spiel geht es darum, so viele Menschen wie möglich abzuknallen, ohne Zeit-und Munitionslimit. Im Bonuslevel stehen die Pixelmännchen sogar schutzlos vor einer Wand, sodass man nur noch von links nach rechts durchmähen muss. So was passiert halt, wenn man Heranwachsenden nicht genug richtige Killerspiele gibt. Nach einigen Disketten wird die Zeitreise allerdings ziemlich ermüdend, weil die alten Sachen eben doch nicht besser waren. Bis auf Uridium langweilen uns die meisten Spiele schon nach ein paar Runden, da hilft auch die rosa Brille nichts, und G.I.Joe besteht immer noch zu 95 Prozent aus Warten und Disketten-Umdrehen. Nur hier und da flammt die alte Begeisterung noch mal auf: Wie das Männchen bei Impossible Mission den Überschlag macht, das ist immer noch geschmeidig; und wie sie den Funkverkehr bei Kennedy Approach digitalisiert haben - toll. Aber im Großen und Ganzen fragen wir uns, wie wir damals stundenlang vor diesem Rechner sitzen konnten: Der Sound plärrt, die pixelige Grafik schmerzt in den Augen, und die meisten Spielideen waren doch ziemlich dünn. Es ist wie beim Stöbern in alten Fotokartons: Erst findet man alles ganz süß und lustig, doch nach dem fünften Karton ist man froh, nicht mehr in dieser Zeit leben zu müssen. Nick will das natürlich nicht wahrhaben und erhöht die Retro-Dosis, indem er eine alte Datasette aus dem Karton fischt und an den C64 anschließt. Dann verschwindet er kurz im Nebenzimmer und kommt mit einem anderen Karton voll muffig riechender Tapes zurück. Er reicht mir eine alte Kassettenhülle entgegen. „Raid over Moscow ?« „Warum nicht?«, sage ich, hole brav das Band aus der Hülle und reiche es ihm zum Einlegen. Was immer dich happy macht, Dude, was immer dich happy macht. Ich schaue mir das Cover an. Respekt - ein Originaltape, das ist schon was Besonderes. Bisher haben wir nur gecrackte Games gespielt, die irgendjemand auf eine Billigdiskette gehauen hat, um sie im Regen auf dem Schulhof schnell gegen andere Games oder ein Raider einzutauschen. Für uns waren die Spiele nicht mehr als eine Handelsware, eine Handvoll Bytes, ein Mittel zum Zweck. Aber das Band hier ist anders: ein Gesamtkunstwerk, wie es sich der Programmierer vorgestellt hat, und obendrein ein Stück Geschichte.
»Play it like there's no tomorrow« schreit es in großen gelben Buchstaben von der Hülle; darüber sieht man ein Flugzeug im Tiefflug durch Moskau rasen. Wie damals üblich hat das Airbrush-Bild auf dem Cover absolut keine Ähnlichkeit mit der kruden Klötzchengrafik, die einen später im Spiel erwartete. Im Endeffekt war das nur ein Sidescroller, bei dem man mit einem Düsenjäger
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