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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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Siebenjährigen so eine Antwort zu geben, aber es kam Martin unwahrscheinlich vor, dass er sich wirklich getraut haben sollte, diese Frage zu stellen.
    Nach drei Monaten erst war sein Vater wiedergekommen. Diesmal hatte er Martin von zu Hause abgeholt, in einem Auto mit zwei gespenstisch ähnlichen Jungen auf der Rückbank, im ersten Moment hatte Martin sie für eine optische Täuschung gehalten. Die beiden wiederum hatten ihn kurz mit großer und bald nur mehr mit mäßiger Neugier betrachtet, sie waren ganz konzentriert auf sich selbst, gefangen im Rätsel ihrer Verdoppelung.
    «Wir denken ständig dasselbe.»
    «Auch wenn es komplizierte Dinge sind. Ganz dasselbe.»
    «Wenn man uns etwas fragt, fällt uns die gleiche Antwort ein.»
    «Sogar wenn sie falsch ist.»
    Dann hatten sie mit ein und derselben Stimme gelacht, und Martin war ein Schauer über den Rücken gelaufen.
    Von da an hatten sein Vater und seine Brüder ihn regelmäßig abgeholt. Sie waren Achterbahn gefahren, sie hatten Aquarien mit schläfrigen Fischen besucht, sie waren durch die Wälder des Stadtrands gewandert, sie waren schwimmen gegangen in nach Chlor riechenden Becken voll Kindergeschrei und Sonnenlicht. Immer hatte man Arthur Mühe angemerkt, nie war er wirklich bei der Sache gewesen, und auch die Zwillinge hatten nicht sehr gut verborgen, dass sie nur mitkamen, weil sie es mussten. Obwohl Martin das klar erkannte, waren es die schönsten Nachmittage in seinem Leben gewesen. Beim letzten Mal hatte Arthur ihm einen bunten Würfel geschenkt, dessen Seiten man verdrehen konnte, ein neues Spielzeug, eben auf den Markt gekommen. Bald schon hatte Martin Stunden damit verbracht, er hätte Tage damit verbringen können, er war ihm völlig verfallen.
    «Martin!»
    Er fuhr wieder herum.
    «Schläfst du?»
    Er überlegte, ob er noch einmal zuschlagen sollte, aber dann ließ er es lieber sein. Es half nichts, Eric war stärker.
    Schade, dachte Eric. Er hätte Martin gerne eine Ohrfeige gegeben, dabei hatte er gar nichts gegen ihn. Es machte ihn bloß wütend, dass sein Bruder so kraftlos war, so leise und furchtsam. Außerdem nahm er ihm noch immer jenen Moment vor sieben Jahren übel, als ihre Eltern sie abends ins Wohnzimmer gerufen hatten, um ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.
    «Lasst ihr euch scheiden?», hatte Iwan gefragt.
    Ihre Eltern hatten erschrocken den Kopf geschüttelt und gesagt: Nein, nein, wirklich nicht, nein! Und Arthur hatte erzählt, dass es Martin gab.
    Eric war so verblüfft gewesen, dass er sofort entschieden hatte, so zu tun, als fände er es komisch, aber gerade als er hatte Luft holen und lachen wollen, hatte Iwan neben ihm angefangen zu kichern. So war es eben, wenn man eins war und zugleich zwei und wenn kein Gedanke einem je ganz allein gehörte.
    «Das ist kein Scherz», hatte Arthur gesagt.
    Aber warum erst jetzt, hatte Eric fragen wollen. Nur war Iwan ihm schon wieder zuvorgekommen: «Warum erst jetzt?»
    Die Dinge seien manchmal schwierig, hatte Arthur geantwortet.
    Hilflos hatte er zu ihrer Mutter gesehen, aber die hatte mit verschränkten Armen dagesessen und gesagt, auch Erwachsene seien nicht immer klug.
    Die Mutter des anderen Jungen, hatte Arthur erklärt, sei nicht gut auf ihn zu sprechen, sie habe nicht gewollt, dass er seinen Sohn sehe, und er habe sich gefügt, offen gesagt, allzu bereitwillig, es habe die Dinge einfacher gemacht, und erst vor kurzem habe er seine Meinung geändert. Und jetzt werde er gehen und Martin treffen.
    Noch nie zuvor hatte Eric ihren Vater nervös gesehen. Wer brauchte diesen Martin, dachte er, und wie hatte Arthur ihnen etwas so Lächerliches antun können?
    Eric hatte schon früh gewusst, dass er anders sein wollte als sein Vater. Er wollte Geld verdienen, er wollte ernst genommen werden, er wollte nicht jemand sein, den man insgeheim bedauerte. Deshalb hatte er am ersten Tag in der neuen Schule den größten Jungen der Klasse angegriffen, ohne Warnung natürlich, die Überraschung hatte ihm den nötigen Vorteil verschafft: Eric hatte ihn zu Boden gestoßen, dann hatte er sich auf ihn gekniet, ihn an den Ohren gepackt und seinen Kopf dreimal auf den Fußboden geschlagen, bis er den Widerstand erlahmen fühlte. Dann erst, um des Effektes willen, hatte er ihm einen gutgezielten Schlag auf die Nase versetzt, Nasenbluten verfehlte nie seine Wirkung. Und tatsächlich, der große Junge, der Eric jetzt schon leidgetan hatte, war in Tränen ausgebrochen. Eric hatte ihn aufstehen lassen, und

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