Fado Alexandrino
Sternhagelvoll.
– Und wissen Sie, wozu das führte, Herr Hauptmann, wissen Sie, was mir nach wochenlangem, tiefem, obsessivem, ununterbrochenem Nachdenken klar wurde? fragte der Funker, seine Nase fast an meiner, mit Augen, die größer und kleiner wurden wie Kiemen hinter den konvexen, bangen Kreisen seiner Brillengläser, während die Blonde geistesabwesend den Ohrring mit einer manierierten Geste trank. Ich kam am Ende darauf, daß dies die beste Ehe war, die ich je hatte, mir wurde klar, daß ich, ohne es zu bemerken, in Caxias die goldene Zeit meines beschissenen Lebens verbracht hatte, und daß ich plötzlich, mit einem Streich, ohne Vorwarnung, brutal, zack, zum Witwer wurde.
– Im Ernst, soll ich Sie nicht hinausbegleiten, Herr Oberleutnant? erbot sich der Soldat. Ein bißchen frische Luft schnappen, wieder Farbe ins Gesicht kriegen, an etwas anderes denken, mal ’ne kleine Abwechslung von dieser Scheiße? Denn wenn Sie Ihre Visage im Spiegel sehen würden, da würden Sie, ehrlich, einen Schreck bekommen.
– Wenn das nicht so wäre, hören Sie, wenn wir uns nicht vor Freude auf dem Boden wälzen würden, wenn wir mißhandelt werden, getreten werden, leiden, argumentierte der Funker, wobei er mir die Rippen mit dem Finger durchbohrte, wie, glauben Sie, Herr Hauptmann, hat sich die Diktatur dann so lange halten können?
Im Schlafsaal gab es Mäuse und Spinnen und Tausendfüßler, die Dielen knackten die ganze Nacht schmerzerfüllt, als würden sie gleich zerbrechen, ein ständiger, übelkeiterregender Gestank waberte zwischen den Etagenbetten wie der Leichengeruch der Ebben im Oktober mit ihrem Eiterschaum, Putzbrocken lösten sich langsam von der Decke wie Psoriasiskrusten, Emílio lag mit dem Gesicht platt auf der dunklen Erde des Hofes, der Wachmann, der den Lauf der Waffe auf mich gerichtet hatte, hob die Pfeife mit einer schneckenlangsamen, nicht enden wollenden Bewegung zum Mund. Der Funker aß nichts zu Mittag, aß nichts zu Abend, erschien zu spät, undiszipliniert, hohl zu den üblichen Appellen, antwortete auf den eigenen Namen mit abwesender Stimme, wie eines dieser Echos aus der Kindheit, die sich verloren durch Häuser ziehen, in denen niemand wohnt, Silben wie lahme, auf den alten Möbeln der Kehlen hockende Tauben, er legte sich, ohne die Kleider auszuziehen, vor den anderen ins Bett, auf die Strohknoten der Matratze, und lag die ganze Nacht mit offenen, kugelrunden, in der Dunkelheit schwimmenden Augen da, von Seufzern, von schwerfällig unregelmäßigem Atem, von trockenem Husten, von Gestalten umgeben, die unter den von Erbrochenem und Urin beschmutzten Decken an- und abschwollen wie Föten, von dem verzweifelten, kaum hörbaren Röhren des unweit des Guincho an der scharfkantigen Spitze eines Abhangs verloren zuckenden Leuchtturms. Hin und wieder schwankte ein Gefangener, vom Schlaf gelähmt, zum verstopften Pissoir, schlitterte auf dem Ammoniak der ewig nassen Fliesen, streifte ihn hustend, ließ sich mutlos in die Bettücher fallen: Wahrscheinlich, dachte der Funker, haben sie auch Olavo umgebracht, wahrscheinlich haben sie auch den Glatzkopf alle gemacht, wahrscheinlich haben sie Dália in Peniche ausgekippt oder nach Cabo Verde deportiert: dennoch werden sie zu den Frauen sanfter sein, möglicherweise schließen sie mich morgen oder später irgendwo in einem Zimmer ein und geben mir einen Schuß in den Nacken, peng, und da bemerkte er plötzlich die leichte,
flüchtige, trübe Helligkeit der Morgenröte, ein erdiges Mondlicht im Fensterrahmen, die empfindliche, gläserne Stille, die vom kleinsten Geräusch zerbrochen wird, er ging mit dem Soldaten hinaus, lehnte sich bei den Mülleimern und einem großen Metallcontainer an die Wand, die Leuchtreklame des Nachtclubs Bar Madrid ging im Krampfaderrhythmus an und aus, färbte meine Schuhe mit ihrer blauen Wichse, Fühlen Sie sich besser, Herr Oberleutnant? haben Sie sich etwas beruhigt?, eine selbstbewußte Blonde und ein Typ mit gekleistertem Haar stiegen in einen zerbeulten Peugeot, der mit Schluckauf rückwärts zickzackschlingernd davonfuhr, das Getriebe kreischte wie das der Jeeps in Afrika, Viel besser, Mann, mach dir keine Sorgen, antwortete er, während er sich die Zähne mit dem Taschentuch sauberrieb, gleich werden wir wieder das Tanzbein schwingen, um sieben Uhr heulte die Sirene nicht, kein Wachmann kam, um uns brüllend zu holen, die Gefangenen blickten einander entgeistert an, merkwürdig, auf den Zementtürmen gab es
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