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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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zweihundert Jahren jemand in den Geschichtsbüchern an uns und findet in den Ruinen von Peniche und Caxias ein Pompeji mit Schienbeinen, Stücken von Etagenbetten, Resten von Zellen und, zum Meer hin, die rissige, von Wellen verlassene Ebene mit einem rostigen Fischkutter im Hintergrund, beinahe an der Linie des Horizonts, in ewig morgendlichem Staub.
    Doch anstelle des blutrünstigen Glatzköpfigen der vorangegangenen Male war der Inspektor ein kleiner, dünner Herr mittleren Alters, der ständig seinen Krawattenknoten mit unruhigen Fingern zurechtrückte und Tabletten gegen Sodbrennen auswickelte, sich auf ein paar eilige Fragen beschränkte, auf dem zerknüllten Block eines Schuljungen voller Striche und Zeichnungen herumkritzelte, den er hastig aus der Tasche gezerrt hatte. Und er sah die beiden massigen Agenten von früher nicht mehr, die jetzt von einem Typen ersetzt worden waren, der wahnsinnig gelangweilt, bar jeden Eifers wirkte, ein Streichholz im Mundwinkel hatte und erbarmungslos nach Martini roch, der ihm nicht einmal eine patriotische, christliche Ohrfeige gab, sondern sich darauf beschränkte, mit der Handfläche einen Rülpserschauer zurückzuhalten, und ihn ohne Beschimpfungen, ohne Fußtritte, ohne Drohungen in den Schlafsaal zurückführte und sich dabei durch eine Lücke im Hemd die Haare auf dem Bauch kratzte.
    – Sie müssen was von der Revolution geahnt haben, meinte der Leutnant, dessen stöbernder Arm im weiten Inneren eines Dekolletés verschwand wie in einer Aquariumsöffnung. Die müssen gewußt haben, was da ausgeheckt wurde, und sich alle vor Angst in die Hosen geschissen, die Kastanien aus dem Feuer geholt, den Absprung vorbereitet haben. Du wolltest wie einer vom Zentralkomitee behandelt werden, mein Lieber, Folter, echte Prügel,
Isolation, du wolltest dich wichtig fühlen, dir beweisen, daß du existierst, aber du warst für die Kerle nicht mehr interessant, du warst für sie nichts mehr wert. In gewisser Weise hat dir die Revolution einen Strich durch die Rechnung gemacht: sie hat dich begreifen lassen, im entscheidenden Moment ist sich jeder selber der Nächste.
    – Vielleicht verstehen Sie es nicht, Herr Hauptmann, oder Sie lachen darüber oder finden es idiotisch, erklärte der Funker und spuckte triumphierend die silbrige Kugel des Ohrrings in die Champagnerschale, was die schlafende Flüssigkeit weckte, die sich beeilte, wie Hunderte von kleinen panikerfaßten Tierchen an der Wand entlangzuwuseln, doch zwischen denen von der Pide und uns hatte sich, da wir gezwungen waren, miteinander zu leben, eine sozusagen heftige Liebesbeziehung, eine merkwürdige Nähe entwickelt, eine Art ehelicher Beziehung mit ihren unvermeidlichen Verrücktheiten, ihren Eifersüchteleien, ihren Launen, ihren Versöhnungen, ihren Krisen und Neidanfällen, ihren niederschmetternden Kindereien. Sie befahlen, wir gehorchten, sie schlugen, wir bekamen die Prügel ab, sie behandelten uns schlecht, und wir protestierten nicht einmal, sie beschimpften uns, und wir nahmen das hin, doch all das, wissen Sie, trug ein wenig dazu bei, eine Form des Einander-Mögens zu schaffen, das entsprach den kleinen, zärtlichen Akten häuslichen Umgangs von Eheleuten, der überbordenden Manifestation unseres ehelichen Glücks.
    – Entschuldigen Sie bitte, Herr Oberleutnant, sagte der Soldat, während er in der Hoffnung vom Stuhl rutschte, der monströsen Mulattin zu entkommen, die ihn am Hals gepackt hatte und unter den Achseln kitzelte, aber Sie sind bereits stockbesoffen. An Ihrer Stelle würde ich mir einen starken Kaffee kommen lassen, ein Alka-Seltzer, ein Heilwasser, oder ich würde vor die Tür gehen, um Luft zu schnappen.
    Der Funker stützte die Handflächen auf die Brüstung der Tischdecke, beugte sich zu mir herunter und blies mir seinen kompakten Essigatem ins Gesicht:

    – Nein, hören Sie, wenn jemand an meiner Stelle eine Tracht Prügel bekam, dann fühlte ich zugleich Erleichterung und Eifersucht, wenn jemand an meiner Stelle zu den Verhören ging, fühlte ich zugleich Erleichterung und Eifersucht, wenn jemand an meiner Stelle bestraft und auf Diät gesetzt wurde, fühlte ich zugleich Erleichterung und Eifersucht: damals bemerkte ich es natürlich nicht, ich hatte keinen Abstand, mir fehlte die Distanz, doch in all diesen Jahren hatte ich Zeit, darüber nachzudenken.
    – Sturzbesoffen, wiederholte der Soldat erstickt, indem er mit beiden Händen die beharrlichen Arme der Mulattin wegschob.

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