Fado Alexandrino
keine Pideleute, auch keine, die todernst mit dem Maschinengewehr am Stacheldraht des Zaunes herumgingen, was ist los?, sie gingen verwirrt alle zusammen, sich das Staunen gegenseitig stützend, in den leeren Speisesaal hinunter, Steintische, Bänke, der einbeinige halb schwachsinnige Angestellte kreiste um den uralten, katastrophischen Herd, Kaffeegeruch und auf einem Bord über dem Sack mit dem Brot, neben den Blechschüsseln, ein tragbares Radio, das Militärmärsche und (die Welt war auf den Kopf gestellt) verbotene subversive Lieder jaulte. Der Lichtkegel der Scheinwerfer des Peugeots (Ich werde das Abendessen gleich hier loswerden), durchzog sich mit dem Zebramuster schräg fallenden Regens, der von einem baldachingroßen Hut beschützte Nachtwächter prüfte die Schlösser, Taxis kamen und fuhren unter Motorgurgeln langsam wieder an:
– Prima, saugut, weder Schwindel noch Übelkeit, sagte der Funker mit glänzendem Kinn, die nassen Haare zurückstreichend, zum Soldaten, der ihn ängstlich anschaute. Es gibt nichts
Besseres als ein bißchen Wasser, um einem die Gedanken zu waschen.
Sie setzten sich schweigend an die gewohnten Plätze vor die Brötchen und die Kannen mit wäßrigem Kaffee, kauten schweigend, nach vorn gebeugt, den Mund dicht an der Tischplatte, während auf dem Bord die Märsche und Hymnen weiterspielten, aus denen die verbrauchten Batterien einen unverständlichen Geräuschbrei, einen Hackbraten aus Klängen machten, nein, ich fand das Fehlen von Polizisten, Befehlen, Geschrei nicht einmal merkwürdig, ich stellte mir weiter vor, was wohl mit Dália geschehen war, mit Olavo, mit dem Glatzkopf, dachte weiter an die Typen, die, von einem Glauben aus Edelstahl erleuchtet, heimlich Bomben bastelten, dachte an die inbrünstigen Mobilisierungen von Studenten, dachte an die Organisation, sah Emílio sterben, sah sie alle tot, Einschußlöcher in den Schläfen, Blumen aus Blut wie die durchsichtigen Kristalle der Kaleidoskope, hörte weiterhin den langsamen, tiefen Atem des Meeres und das Flöten von Pisse, die in die stehende Pisse der Kloschüssel fiel, Nicht, daß es mir etwas ausmachen würde, Ihnen Gesellschaft zu leisten, Herr Oberleutnant, meinte der Soldat, indem er den Stalaktiten der Nase am Ärmel abwischte und sich an den prekären Unterstand eines Schaufensters lehnte, aber möchten Sie nicht lieber allein sein, Herr Oberleutnant?, der Schwachsinnige kam humpelnd zu den Tischen und flüsterte, Die sind alle im Büro des Direktors, Alle? fragte ein Gefangener mit Schnurrbart, Alle, die nicht wie die Hasen geflohen sind, als die Revolution angefangen hat, und alle vollkommen überrascht, Was für eine Revolution, zum Teufel?, wir achteten jetzt mehr auf den Transistor, aber nur Märsche, nur Hymnen, nur zusammenhanglose Reden, nachdem wir den dünnen Kaffeeschlick ausgetrunken hatten, stellten wir fest, daß die inneren Türen des Gefängnisses entgegen jeder Gewohnheit fast alle offenstanden, daß in den leeren Geschäftsstellen nicht einmal die Schreibmaschinen unter ihrer Abdeckung hervorgeholt worden waren, der Stille eine merkwürdige Aufgeräumtheit feierlich
vorsaß, man konnte sich in den Zimmern, den Fluren, den Büros, sogar in den Unterkünften der Wachleute frei bewegen, in ihren Bädern heiß duschen, ohne daß einen jemand daran hinderte, wir seiften uns mit ihren Seifen ein, trockneten uns mit ihren Handtüchern ab, und der mit dem Schnurrbart hatte das Transistorradio des Einbeinigen unterm Arm dabei, und jedesmal, wenn die Musik für ein Kommuniqué oder eine Rede unterbrochen wurde, drängten wir uns um ihn wie Wespen in ihrem Nest, versuchten vergebens das dumpfe Brodeln der Worte zu verstehen, was sagt der da, was hat er gesagt, was ist los, der Funker, der den Kragen hochgeschlagen und die Hände in den Taschen hatte, schloß die Augen, und die Paso dobles drangen in einem Wirbel aus Saxophonen, Akkordeons und Kastagnetten durch den Regen und die Vorhänge des Nachtclubs gedämpft zu ihm, ein Putsch von rechts? ein Putsch von links?, die Gefangenen spazierten schließlich aufs Geratewohl, blind stolpernd wie Käfer herum, und am Nachmittag kam der Diesellärm der Menge, Rufe, Gesänge, Parolen, der Soldat trabte, die Schultern vorgebeugt, davon, nach Andalusien oder zum Champagner, der Türsteher stampfte verzweifelt mit den Füßen auf den Boden, um sich zu wärmen (Irgendwann macht er mit den Sohlen noch ein Loch ins Pflaster, irgendwann versinkt er noch im Boden),
Weitere Kostenlose Bücher