Fahr zur Hölle, Mister B.: Fantastischer Thriller (German Edition)
wären Waise. Meine Frau, meine arme Frau –«
»Marta.«
»Ich kenne ihren Namen ... Sie würde zur Witwe.«
»Ja.«
»Ich verstehe. Ich habe keine andere Wahl.«
»Keine.«
Da zuckte er die Achseln, dann schritten wir durch die Straßen. Der Pastetenmann ging voran, und ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, als wäre ich blind.
»Sag mir eines«, bat der Pastetenmann sachlich. »Ist dies die Apokalypse, von der unser Priester immer erzählt? Die aus der Offenbarung?«
»Dämonation! Nein. «
»Warum dann die himmlischen und infernalischen Erscheinungen?«
»Meiner Vermutung nach, weil etwas Bedeutsames erfunden wird. Etwas, das die Welt für immer verändert.«
»Und was?«
»Das weiß ich nicht. Was macht denn dieser Gutenberg beruflich?«
»Meines Wissens ist er Goldschmied.«
- - -
Ich war dankbar für sein Geleit, doch nicht für sein Geschwätz. Die Straßen der Stadt sahen alle gleich aus – Schlamm, Menschen und grau-schwarze Häuser, viele davon nicht annähernd so luxuriös wie einige der Ruinen, in denen Quitoon und ich im Lauf unserer Reisen übernachtet hatten.
Quitoon! Quitoon! Wieso galt jeder zweite meiner Gedanken ihm und seiner Abwesenheit? Ich befreite mich nicht von dieser Besessenheit, sondern machte ein Spiel daraus und leierte für den Pastetenmann eine Liste der bemerkenswertesten Speisen herunter, die Quitoon und ich unterwegs zu uns genommen hatten: Hundshai, Katzenwels, Kugelfisch, Kartoffelblutsuppe, Weihwassersuppe mit Hostien, Nesselsuppe; Schleimsuppe aus Leichen, mit der Asche eines verbrannten Bischofs sämig gebunden; und so weiter und so fort. Mein Gedächtnis war besser, als ich erwartet hätte. Ich fand sogar Gefallen an meinen Reminiszenzen und hätte gern noch mehr unvergessliche Episoden davon weitergegeben, doch ein anschwellendes, wutentbranntes Heulen in den Straßen vor uns riss mich, in Verbindung mit dem Geruch verbrannten Menschenfleisches, aus meinen Gedanken. Sekunden später sahen wir den Grund für den Lärm wie auch für den unangenehmen Geruch: ein Mann und eine Frau mit üppigen Hochfrisuren, die das Feuer gierig verzehrte, während es gleichzeitig auf ihren Rücken, Pobacken und Beinen loderte. Ich wich ihnen aus, doch der Pastetenmann blieb stehen und starrte sie an, bis ich ihn am Arm packte und aus dem Weg zog.
Als ich ihn ansah, stellte ich fest, dass er den schmalen Streifen Himmel zwischen den Giebeln der Häuser betrachtete. Ich folgte seinem Blick und sah, dass sich am hellen Sommerhimmel noch hellere Gestalten bewegten. Es waren keine Wolken, auch wenn sie so rein und unberechenbar wie Wolken wirkten; ganze Schwärme amorpher Schemen schwebten am Himmelszelt in die Richtung, in die auch wir gingen.
»Engel«, sagte der Pastetenmann.
Ich war ehrlich erstaunt, dass er das wusste. »Bist du sicher?«
»Gewiss bin ich sicher«, antwortete er mit einem leicht gereizten Unterton.
»Schau genau hin. Jetzt kommt ihr Kunststück.«
Ich schaute hin. Und zu meinem Erstaunen sah ich, wie sie sich einander näherten, bis alle formlosen Schemen zu einer einzigen, gleißenden Form verschmolzen, die sich spiralförmig gegen den Uhrzeigersinn drehte und im Kern immer heller leuchtete, bis sie zerplatzte und grelle Funken versprühte wie eine geborstene Samenkapsel. Die Funken regneten auf die Dächer der Häuser herab, wo sie sich wie Schnee in der Sonne in nichts auflösten.
»Hier muss etwas höchst Bedeutsames vor sich gehen«, sagte ich mir. »Quitoon hatte am Ende doch recht.«
»Es ist nicht mehr weit«, sagte der Pastetenmann. »Kann ich dir nicht einfach den Weg von hier aus beschreiben?«
»Nein. Bis vor die Tür, Pastetenmann.«
Ohne weitere Widerworte führte er mich die Straße hinab. Obwohl viele Leute unterwegs waren, verkniff ich mir groteske Anwandlungen wie den offenen Mund und den Rotz, den ich mir aus den Nasenlöchern laufen ließ. Sie waren nicht nötig. Der dreckverschmierte Pastetenbäcker, der mir vorausging, und ich bildeten ein Paar, das abscheulich genug aussah; die braven Bürger machten einen großen Bogen um uns und gingen mit gesenkten Köpfen hastig ihrer Wege.
Aber nicht nur unsere Gegenwart sorgte für die unbotmäßige Hast der Mainzer. Auch Leute, die uns noch nicht gesehen hatten, schlugen die Blicke nieder. Anscheinend wussten alle, dass sie sich die Straßen mit Engeln und Dämonen teilten, und bemühten sich sehr, ihren alltäglichen Geschäften nachzugehen, ohne dass sie Soldaten der einen oder
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