Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Verwandte, Freunde und Sitzengelassene vor Rührung oder Wut.
Ihr Vater gab ihnen Geld. Sie kauften einen großen alten Ford und fuhren nach Neapel in die Flitterwochen, tranken reichlich Whisky und hörten Musik, die nach Schweiß und nach Metall klang. Drei Jahre später nahm Bellmann eine Stelle in einem Krankenhaus im Norden an. Er operierte und schnitt und renkte ein und machte Karriere in seiner Abteilung. Ihr Vater kaufte ihnen den Bungalow am Stadtrand, Ingrid richtete ihn ein: bestellte die Universal-Vollkunststoffküche Gloria eins mit Lagopal-Arbeitsplatten, ließ einen Pegulan-Fußboden verlegen, kaufte einen Hailo-Bügeltisch mit feuerhemmender Dreischichtauflage, eine Constructa-K6-Super-Waschmaschine, drei Airborne-Sessel und einen Ratgeber mit dem Titel Vorbildlich wohnen ; er hat das Buch immer noch. »Drei Dinge«, erklärt der Autor in seiner Einleitung, »spielen bei einem Sitzmöbel eine große Rolle: Die Form spricht das Auge und das Stilgefühl an; der Sitzkomfort wird vom Genießer für das Wichtigste gehalten. Und: Was die Form verspricht, muss die Polsterung halten. Hier zu sparen lohnt sich nicht. Ein Stoff muss kräftig sein, er muss unter den prüfenden Fingerspitzen einen vertrauenerweckenden Eindruck machen. Kenner schwören auf Leder, weil es bei vernünftiger Behandlung ein Leben lang – und länger – hält. Und weil es mit zunehmendem Alter immer schöner wird.« Und länger, wiederholte Bellmann: Wenn er tot wäre, würde dieser Sessel noch da sein und immer noch schöner werden, ein wunderschöner, von seinem Besitzer verlassener Sesselgreis auf sinnlosen silbernen Rollen, eingesackt in eine Flokatiwolke.
Sie ließen einen Pool in den Garten graben und trieben, während die Musik durch die offenen Schiebetüren des Wohnzimmers dröhnte, ein paar Sommer lang auf Luftmatratzen in der Sonne, schauten in den Himmel und betrachteten die Reflexionen des Lichts auf dem Grund und wurden so dunkelbraun wie der karbolineumgetränkte Jägerzaun des Nachbarn. Tagelang verließen sie den Pool nur, um sich einen Drink zu holen oder die Langspielplatten umzudrehen; der Arm des Plattenspielers war nach ein paar Jahren weiß und brüchig vom Chlor.
Es ist vor allem ein Geruch, an den er sich später erinnert. Wenn es geregnet hatte, war die Luft schwer, und die Sonne brach sich in den Zweigen. Er schaute ihr dabei zu, wie sie sich am Pool ihre Nägel lackierte. Das Abendlicht fiel auf die Wasseroberfläche, und die Reflexe zuckten über die Scheiben des Hauses. Sie trug einen weißen Badeanzug, und der metallische Geruch des Nagellacks mischte sich mit dem Chlordunst des Pools und der Luft, die den Geruch des feuchten Heus über die Wiesen trug.
Wenn er spät aus dem Krankenhaus kam, setzten sie sich aufs Sofa und tranken Dujardin. Er ging früh zu Bett und schlief schnell ein, sie blieb wach und las in ihren Magazinen Artikel über den Schah von Persien, der in St. Moritz Skiurlaub machte, oder über die neuen Modefarben Mint und Azur. Wenn sie nicht las, schaute sie fern, Hans Rosenthals neue Show oder Kriminalfilme; manchmal schlief sie auf der Couch ein und wachte erst vom Pfeifton des Sendezeichens auf.
Dann, 1969, zog seine Mutter zu ihnen. Sie bekam ein großes Zimmer und ein eigenes Bad. Zum ersten Mal in ihrem Leben wohnte sie in einem Haus mit Garten, keinem kleinen Notgemüsegarten mit illegalen Kaninchenställen und Kartoffeln und Suppenkraut, sondern einem Park mit Rhododendren und Magnolien und einem hellblauen Swimmingpool.
Hier saß sie, einerseits stolze Mutter des angesehenen Herrn Doktor Bellmann, andererseits auch Erzeugerin des lautesten Rockers der Stadt, ratlos zwischen Flokatis und Plastikschalensitzen herum und staunte und litt. Das Haus, das kein Haus war, das Haus ohne Dach, das Rockerhaus, machte sie verrückt. Sie konnte die Tür abschließen und sich in ihrem Zimmer verbarrikadieren, in das sie mitsamt ihren alten Möbeln eingezogen war; da war das alte, knackende Holzbett mit dem gedrechselten Giebel, der Nähtisch, das knarzende Sofa ihrer Großtante, auf dem sie nachmittags ihren Kaffee nahm und von den langen Sommern ihrer Jugend träumte. Sie konnte die erschreckend moderne Welt, die ihr Sohn um sie herum errichtet hatte, ausblenden – aber nicht die Musik überhören, die tags und auch abends durch diedünnen Wände drang, und so saß sie in ihrem Bauernmöbelversteck und strickte Winterstrümpfe für ihren Sohn und hörte, tagein, tagaus,
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