Faktotum
Martinez?«
Der Vorarbeiter nahm seine Liste und strich die beiden Namen durch. Dann kam er zu mir nach hinten.
»Wer bist du?«
»Chinaski.«
»Bleibst du bei der Stange?«
»Ich brauch den Job.«
»Okay.« Er ging weg.
In El Paso kam der Vorarbeiter durch und sagte uns, es gehe am nächsten Tag mit einem anderen Zug weiter. Wir bekamen Gutscheine für eine Übernachtung in einem nahegelegenen Hotel und Essensmarken, die wir in einem Café am Ort einlösen konnten; außerdem genaue Anweisungen, wann und wo wir am Morgen in den nächsten Zug einsteigen sollten.
Ich wartete draußen vor dem Café, bis die Männer gegessen hatten. Dann kamen sie heraus, stocherten sich die Essensreste aus den Zähnen, unterhielten sich. Ich ging rein.
»Dem reißen wir noch den Arsch auf, diesem Drecksack!« »Mann, der stinkt mir vielleicht, der häßliche Knochen.« Ich ging hinein und bestellte mir ein Hacksteak mit Zwiebeln
und Bohnen. Zum Brot gabs keine Butter, aber der Kaffee war gut. Als ich rauskam, waren sie weg. Ein Penner kam auf dem Bürgersteig zu mir her. Ich gab ihm meinen Hotelgutschein.
Ich übernachtete im Park. Das schien mir sicherer zu sein. Ich war so müde, daß mir die harte Parkbank nicht das geringste ausmachte. Ich schlief.
Nach einiger Zeit weckte mich etwas auf, das sich wie Gebrüll anhörte. Ich hatte bis dahin nicht gewußt, daß Alligatoren brüllen können. Genauer gesagt, es war eine Mischung aus verschiedenen Dingen: ein Brüllen, ein erregtes Einatmen, ein Zischen. Ich hörte auch Kinnladen zuschnappen. Ein betrunkener Matrose stand mitten im Teich und hielt einen der Alligatoren am Schwanz fest. Das Tier wand sich und versuchte nach dem Matrosen zu schnappen, aber das ging nicht recht. Sein Maul sah furchterregend aus, aber seine Bewegungen waren langsam und unkoordiniert. Ein zweiter Matrose und ein junges Mädchen sahen lachend zu. Dann küßte der Matrose das Mädchen, und sie gingen zusammen weg und ließen den anderen mit seinem Alligator allein …
Als nächstes weckte mich die Sonne auf. Mein Hemd war glühend heiß. Es brannte beinahe. Der Matrose war verschwunden. Der Alligator auch. Auf einer Bank in der Nähe saßen zwei junge Männer und ein Mädchen. Sie hatten offensichtlich auch im Park übernachtet. Der eine junge Mann stand auf.
»Mickey«, sagte das junge Mädchen, »du hast ja einen Steifen!«
Sie lachten.
»Wieviel Geld haben wir noch?«
Sie sahen in ihren Taschen nach. Sie hatten noch 5 Cents. »Tja, was machen wir jetzt?«
»Ich weiß nicht. Machen wir uns halt wieder auf die Socken.«
Ich sah ihnen nach, wie sie weggingen, aus dem Park hinaus und in die Stadt rein.
8
Der Zug fuhr bis Los Angeles. Dort gab es zwei oder drei Tage Aufenthalt. Es wurden wieder Gutscheine für Hotel und Verpflegung ausgegeben. Ich verschenkte meine Hotelgutscheine an den ersten Penner, der mir über den Weg lief. Unterwegs zu dem Café, das die Essensmarken einlöste, sah ich vor mir plötzlich zwei von den Männern, die seit New Orleans dabei waren. Ich legte einen Zahn zu und holte sie ein.
»Na Jungs, wie gehts denn so?« fragte ich.
»Oh, alles in Ordnung, alles bestens.«
»Seid ihr sicher? Keine Klagen und nix?«
»Nee, alles in Ordnung.«
Ich ging allein weiter und fand das Café. Als ich sah, daß dort
auch Bier ausgeschenkt wurde, ließ ich mir Bier geben für meine Marken. Die ganze Reparaturkolonne war da. Als meine Marken alle waren, hatte ich gerade noch genug Kleingeld, um mit der Straßenbahn zum Haus meiner Eltern zu fahren.
9
» Junge! « schrie meine Mutter, als sie die Tür aufmachte. » Bist du’s wirklich, Junge? «
»Ich brauch dringend ’n bißchen Schlaf.«
»Dein Bett wartet hier immer auf dich.«
Ich ging auf mein Zimmer, zog mich aus und legte mich ins Bett. Gegen 6 Uhr abends weckte mich meine Mutter. »Dein Vater ist von der Arbeit gekommen.«
Ich stand auf und zog mich wieder an. Als ich reinkam, stand das Essen auf dem Tisch.
Mein Vater war ein hochgewachsener Mann, größer als ich. Er hatte braune Augen; meine waren grün. Seine Nase war zu groß, und seine Ohren fielen einem auch unwillkürlich auf. Sie schienen sich von seinem Schädel losreißen zu wollen.
»Hör mal«, sagte er, »wenn du hier wohnen bleibst, werde ich dir Unterkunft und Verpflegung berechnen. Und die Wäsche. Wenn du einen Job gefunden hast, wird dir das, was du uns schuldest, von deinem Lohn abgezogen, bis du alles abbezahlt hast.«
Wir aßen schweigend.
10
Meine Mutter
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