Der Spion der Zeit
I
Trotz der außergewöhnlichen Umstände, unter denen er sich ereignete, wurde vom Tod General Ferrers kaum Notiz genommen.
Eine Reihe von Zufällen führte dazu, dass die Nachricht auf den hinteren Seiten der Zeitungen landete. Die Titelseiten berichteten an jenem Tag über einen Skandal im Parlament, den Auftakt eines umstrittenen Prozesses und eine Bluttat, die die Polizei in ein schlechtes Licht rückte. Gleichlautend war in allen Gazetten von Meineid, Tod und Verrat die Rede.
Die Tatsache, dass Ferrer an diesem Tag in den Hintergrund trat, verwunderte niemanden. Unter den Generälen war er stets die farbloseste Gestalt gewesen. Ein Bürokrat mit Haut und Haar und einem unverkennbaren Hang zur Intrige. Zwar hatte er an allen Staatsakten teilgenommen, doch seine Stimme war dem Volk nahezu unbekannt geblieben. Nicht einmal auf Fotos war er richtig auszumachen. Der Fokus der Journalisten hatte stets auf General Moliner mit seiner andachtsvollen Haltung gelegen, oder auf General Prades, der stolzgebläht davon träumte, in die Geschichte einzugehen; oder später, während des Krieges, auf dem erbärmlichen Major Abellán.
Die Archivbilder anlässlich seines Nachrufs beschworen eine Vergangenheit voller Gräueltaten herauf. Doch von allem, was das abgesetzte Prätorianerregime betraf, wollten die Bewohner Trinidads nichts mehr wissen. Jetzt, da der Frühling Einzug hielt, die Küstenstraße sich mit Studenten bevölkerte und auf den Boulevards die ersten Blumen sprossen, wer wollte sich da noch an die Zeiten im Land der Schuld erinnern?
Drei Tage später starb Major Abellán.
Während Ferrer die Tugend der Zurückhaltung kultiviert hatte, war Abellán stets ein Polterer gewesen. Er hatte eine vom Schnaps raue Befehlsstimme, und auch seine gerötete Nase zeugte von diesem Laster. Abellán hatte die alleinige Verantwortung für den Krieg auf sich genommen, der Tausende von Menschenleben gekostet hatte und dessen einzige Richtschnur die Unvernunft gewesen war.
Jetzt war auch Abellán tot. Was blieb, waren Tonbandaufzeichnungen seiner Stimme, Kriegsstatistiken, die Heldentaten eines Trinkers. Und der Kelch der Erinnerung wäre benutzt, gesäubert und schnell im Archiv versenkt worden, hätte nicht dieses absonderliche Vorkommnis, dieser dissonante Ton, dazwischengefunkt, der so gar nicht nach einem harmonischen Schlussakkord klang.
Wie Ferrer starb auch Abellán auf spektakuläre Weise.
II
In beiden Fällen ereignete sich der Tod am frühen Morgen. Sowohl Ferrer als auch Abellán befanden sich allein in ihren Häusern. Ferrers Frau war mit ihren Enkeln am Freitag ins Landhaus gefahren, wohin der General am nächsten Tag nachkommen sollte. Abellán war schon vor Monaten von seiner Frau verlassen worden. Erst durch den Tod erfuhr man von der Trennung: Bei ihrem Auszug hatte der polternde Soldat von seiner Frau nichts weiter als Diskretion verlangt.
Am Montagmorgen kam die Hausangestellte der Ferrers eine Stunde später als gewöhnlich. Sie ging wie selbstverständlich davon aus, dass der General auf dem Land weilte.
Ohne auch nur einmal von ihrem Eimer und dem Putzlappen aufzublicken, arbeitete sie bis zum Mittag.
Um zwölf Uhr klingelte das Telefon. Ein Ferngespräch: Frau Ferrer, aus dem Landhaus. Die Hausangestellte musste sie bitten, lauter zu sprechen, denn das Gebell der Hunde (sie waren den ganzen Vormittag über schon unruhig gewesen) war ohrenbetäubend. Frau Ferrer fragte nach dem General. Die Hausangestellte hatte ihn noch am anderen Ende der Leitung geglaubt, erst da fiel ihr auf, dass Ferrers Auto an seinem gewohnten Platz neben dem Brunnen stand.
Ferrer reagierte nicht auf ihr Klopfen an der Schlafzimmertür. Zögerlich trat sie ein. Der General blieb nie bis mittags im Bett. Doch der Raum war leer und das Bett unberührt. Ferrer hatte nicht dort übernachtet. Wo er sich auch befinden mochte, mit dem Auto war er jedenfalls nicht gefahren. Die Hausangestellte machte sich keine weiteren Gedanken über seinen Verbleib. Der General war ein strenger Mann ohne bekannte Laster, eine durchzechte Nacht war nicht sein Stil.
Sie kehrte in die Küche zurück und widmete sich weiter ihrer Arbeit. Sie lief barfuß – eine der kleinen Freiheiten, die sie sich erlaubte, wenn sie wusste, dass sie allein im Haus war. Doch die Abwesenheit des Generals ließ ihr keine Ruhe. Das Hundegebell war unerträglich. Sie nahm ein Stück Fleisch und ging nach draußen.
Im Park spürte sie gleich, dass etwas
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