Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 16 Ikezukuri
nach dem anderen die Hand auf die Schulter und drehte die Leute herum, damit sie ihm in die Augen sahen. Es war, als müsste er einen Bann brechen, der sie alle gefangen hielt.
„Ach, auf einmal?“, lachte Kaori. „Auf einmal schnallst du es auch? Hat lange gedauert.“
„Möglich.“ Sams Miene war wie versteinert. „Jedenfalls stürze ich mich nicht wie ein Idiot auf die Sachen, die gefährlich für mich sind.“
„Gefährlich!“ Kaori schüttelte sich vor Lachen. „Eben spielst du noch den großen Boss, und jetzt kriegst du Muffesausen. Kapier’s doch endlich: Wir sind ein Haufen kaputter Leute. Das gilt für dich genauso. Oder hast du vergessen, weswegen du hier bist?“ Sie konnte ihre Blicke nicht von dem Messerchen nehmen. Sie setzte die Klinge in die vernarbten Stellen an ihren Handgelenken. Sam sagte sich, dass sie es nicht ernst meinte. Dass sie es nur tat, um ihm Angst einzujagen, und natürlich, um ihm zu beweisen, dass sie die stärkere war.
Die Anführerin.
Ich bin hier, um Hilfe zu bekommen , wollte er sagen. Ich mache eine Therapie, um mich wehren zu können, wenn diese unendliche Traurigkeit und Sinnlosigkeit mich wieder überkommt. Ich sehe es als Krankheit und möchte gesund werden, genauso wie jemand, der eine Grippe hat oder ein Magengeschwür …
Stattdessen sagte er etwas anderes: „Wenn ich Schluss mache, tue ich das, wenn mir danach zumute ist. Und nicht, wenn man es von mir erwartet. Es ist mein Leben. Niemand bestimmt darüber, wann ich es beende.“
Das klang cool. Wenigstens hoffte er, dass es cool klang.
Die meisten sahen ihn jetzt an. „Ihr wisst, dass jemand hier unten bei uns ist“, sagte er dann. „Jemand hat diese Tür geöffnet, während wir abgelenkt waren.“
„Was kümmert uns das? Er ist längst weg.“ Nami sagte das.
„Nein, das glaube ich nicht“, hielt Sam dagegen. „Es gibt nur einen einzigen Weg hinaus – durch die Eisentür. Sie macht einen ziemlichen Lärm, wenn sie zufällt. Wir hätten es mitbekommen. Vor einer Viertelstunde war dieses Zimmer noch zu. Wer immer das getan hat, er ist immer noch hier unten und versteckt sich in einem der Räume.“
„Einer der Glotzer?“, fragte ein Mädchen.
„Kaum“, entgegnete Sam. Er wusste nicht, warum es das sagte. Er hatte keinen Anhaltspunkt, redete einfach ins Blaue hinein. „Ich denke, es muss ein Fremder sein.“ Er hatte den Gedanken in dem Moment ausgesprochen, als er ihm einfiel, ohne darüber nachzudenken. Doch als er hörte, was er da sagte, kam ihm die Idee nicht einmal abwegig vor. „Wir durchsuchen jetzt gemeinsam die Räume. Wir fangen drüben neben der Eisentür an und arbeiten uns immer weiter nach hinten. Dann kriegen wir ihn hundertprozentig. Wir sind neun junge Leute. Wir sind stärker.“
Entschlossenheit flammte in seinen Augen auf, und er hoffte, dass sie lange genug brannte, bis alle das Feuer gesehen und sich daran entzündet hatten. Die meisten zögerten, schienen seiner Idee jedoch zugeneigt zu sein. Geschlossen verließen sie das Dienstzimmer, Sam als letzter, wie ein Lehrer, der beim Schulausflug die Kinder vor sich her trieb. Beim Hinausgehen sah er nach, ob vielleicht der Schlüssel steckte, aber das war nicht der Fall. Er hatte gesehen, wie Kaori das Messer in der Hand verbarg und mitnahm. Sollte sie es nur tun. Es würde eine gute Waffe abgeben, sobald sie auf den Menschen stießen, der sich hier irgendwo versteckte.
Sie erreichten den ersten Raum vor der Tür nach draußen – ein kleines Zimmer, das keinem bestimmten Zweck zu dienen schien. Die Pfleger stellten dort manchmal etwas ab, doch bis auf zwei Tische war der Raum jetzt leer. Sam klopfte die Wände nach Geheimtüren ab, was ihm die Bewunderung einiger seiner Mitinsassen einbrachte. Und den unverhohlenen Spott der anderen …
Das zweite Zimmer war der Fernsehraum. Auch dort befand sich niemand. Der Fernseher lief noch und zeigte eine grelle Kekswerbung mit tanzenden Menschen in riesigen Hamsterkostümen. Sie wollten den Raum bereits verlassen, als Sam plötzlich aufschrie.
„Halt! Irgendwas stimmt hier nicht.“ Seine Augen wurden schmal, und er blickte sich konzentriert um. Er prüfte die Wände, den Fußboden, die Decke, die Möbelstücke. Die anderen beobachteten ihn regungslos. Er kam nicht darauf, was es war, das ihn so irritierte. Bildete er es sich nur ein?
„Sag bloß, du riechst einen Geheimgang?“, ließ einer der Jungen die stichelnde Bemerkung fallen.
In diesem Moment wusste Sam, was
Weitere Kostenlose Bücher