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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ihm. Ihr Verlobter war auch da. Kein übler Kerl, anständig und höflich, aber nicht der fleißigste unter der Sonne. Bekam nichts auf die Reihe. Wohnte vorübergehend bei ihr. Vorübergehend, seit fünf Jahren schon. Sie heirateten nicht, bekamen keine Kinder, waren nur zusammen. Das konnte man heutzutage ja tun, wenn man Lust dazu hatte. Und Elaine überschritt unterdessen gemütlich die Vierzig und driftete auf das Ende ihrer fruchtbaren Zeit zu.
    Glückwunsch , dachte Mort. Falls die beiden sich je aufraffen und was Kleines in die Welt setzen, werde ich schon tot sein. Ich sterbe nämlich heute. Enkellos. Was für ein gottverdammtes Elend!
    Er versuchte, nach Elaine zu rufen, aber er bekam nur ein Krächzen heraus. Nun merkte er, dass sein rechter Mundwinkel tatsächlich herabhing. Diesmal hätte er nicht dagegen protestiert, wenn jemand ins Zimmer gekommen wäre, um ihn auf eine Bahre zu legen und ins nächste Hospital zu karren. Heute nicht.
    Vielleicht konnte er etwas werfen oder umstoßen. Elaine hatte einen leichten Schlaf. Um diese Zeit würde sie auf ihrer Matratze bestimmt senkrecht in die Höhe hüpfen, wenn sie ein lautes Rumpeln oder Krachen aus dem Erdgeschoss hörte.
    Aber wie sollte er dieses große alte Haus mit seinen massiven, antiken Möbeln zum Poltern bringen? Der Nachttisch war zu schwer, um ihn umzuwerfen. Es gab einen Stuhl, aber der stand an der gegenüberliegenden Wand, sechs Yards entfernt. Sie hatten hier große Zimmer. Verschwenderisch groß. Auf dieser Farm hatten einst zehn Leute gewohnt, und es war keinem von ihnen jemals zu eng gewesen.
    Sechs Yards. Eine unüberwindbare Distanz für einen Mann, den es all seine Kraft kostete, sich im Bett nur zur Seite zu drehen.
    Mort streckte seinen linken Arm nach dem Nachttisch aus. Es war beinahe unmöglich, weil es der untere Arm war, der, auf dem er lag. Den anderen konnte er komplett vergessen, bei dem konnte er ein wenig mit den Fingern zucken, aber Anheben stand nicht zur Disposition. Halbseitige Lähmung, Kopfschmerzen, Schwindel – die ganze Palette. Irgendetwas Dickes, Fettes klemmte in seiner Ader und blockierte die Denkfabrik in seinem Schädel. Es machte einem Angst, aber mehr noch machte es einen wütend, wenn man drüber nachdachte.
    Seine linke Hand erreichte den Nachttisch, kroch über den Rand der Tischplatte, suchte nach einer Stelle zum Festhalten. Aus dem Bett ziehen wollte er sich. Dann würde er sich irgendwie auf den Fußboden setzen und langsam im Sitzen durch den Raum rutschen, wie das Babys manchmal taten, ehe sie anfingen zu gehen. Es spielte keine Rolle, ob er fünf Minuten dafür benötigte oder eine halbe Stunde. Hauptsache, er konnte den Stuhl gegen die Wand schleudern und Elaine wecken. Er hatte drei Stunden. Innerhalb von drei Stunden musste ein Schlaganfall behandelt werden, nicht wahr? Drei Stunden, die über den Rest des Lebens entschieden.
    Drei Stunden mussten doch reichen, um Elaine zu wachzubekommen!
    Er schöpfte Hoffnung.
    Vielleicht würde er doch noch mit seinen Enkeln spielen.
    Seine Hand berührte den Kerzenständer. Vorsichtig jetzt! Die Kerze sollte nicht umfallen.
    Plötzlich fuhr ein höllischer Schmerz durch seinen Kopf. Als hätte jemand seinem Hirn mit einer Spritze siedendes Wasser injiziert. Sein Blickfeld verschwamm. Das Zimmer drehte sich schneller. Seine Hand verkrampfte sich, wollte sich festhalten, egal wo. Er fürchtete aus dem Bett zu fallen.
    Der Kerzenständer kippte. Mort wollte ihn stoppen, doch seine Hand rutschte ab. Der Ständer rollte mitsamt der Kerze in einer runden Bahn über den Nachttisch. Mort wartete darauf, dass die Flamme ausging, dass der Raum in Schwärze getaucht würde. Doch die Flamme überlebte. Als die Kerze vom Nachttisch aus neben ihn ins Bett fiel, brannte sie immer noch.
    Mort versuchte sich aufzurichten. Die Flamme wurde winzig klein, und dann sah es einen Augenblick lang aus, als wäre sie verlöscht.
    Er hielt den Atem an.
    Im nächsten Moment leckte eine lange gelbe Zunge mit neonblauer Wurzel über das Kopfkissen.
    „Nein“, sagte Mort. Er röchelte nicht, lallte nicht, keuchte nicht. Mit der linken, funktionsfähigen Seite seines Mundes sagte er deutlich, leise und sehr ernst: „Nein.“
    Das Feuer verbreitete sich so rasch, dass ihm nichts anderes einfiel, als vor ihm zurückzuweichen, indem er sich wieder auf den Rücken rollen ließ. Als es vollbracht war, wusste er, dass er nichts Falscheres hätte tun können. Er hätte sich aus dem Bett

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