Lotterie der Liebe
1. KAPITEL
“E s müssen nicht vier Kerzen brennen, Amy”, sagte Lady Bainbridge in sanft tadelndem Ton und setzte sich ihrer Tochter gegenüber an den Tisch. “Zwei reichen zum Arbeiten.”
Amy beugte sich zu dem Leuchter vor und blies zwei der Flammen aus. Durch das diffuse Licht hatte sie bereits Kopfschmerzen bekommen. Seit die Familie nach dem Tod des Vaters vor zwei Jahren verarmt war, achtete die Mutter selbst auf die kleinste Ausgabe und versuchte zu sparen, wo immer es ging. Aus Sorge, sich die Augen zu verderben, faltete Amy den alten Schal, den sie, um ihn hübscher zu machen, mit einem Fransenbesatz versah, säuberlich zusammen und legte ihn mitsamt Garn und Häkelnadel in die Schublade des Nähtisches. Es war lange her, seit sie ihre Garderobe zum letzten Mal durch elegante Accessoires bereichert oder gar ein Kleid erstanden hatte. Daher bemühte sie sich, ihren vorhandenen Bestand mit Spitzen und Stickereien zu schmücken, um das Gefühl zu haben, etwas Neues zu besitzen, auch wenn die von ihr erzielten Ergebnisse nicht immer ihren Vorstellungen entsprachen. Sie war sich bewusst, dass sie in ihren aufgebesserten Sachen auf gesellschaftlichem Parkett unangenehm auffallen würde, doch zum Glück gab es nur wenige Anlässe, bei denen sie genötigt war, eine gute Figur zu machen.
Der Abend war nicht abwechslungsreicher verlaufen als mehr oder weniger jeder andere vor ihm. Nach dem kargen Abendbrot, das sie mit der Mutter eingenommen hatte, war man in die Stube gegangen und hatte sich beschäftigt. Das Geld, um ausgehen zu können, war nicht vorhanden, und da die Mutter aus Gründen der Kostenersparnis keinen gesellschaftlichen Umgang mehr pflegte, hatte sich auch kein Besucher eingefunden.
Amy gähnte und äußerte: “Ich gehe zu Bett, Mama.”
“Wie du willst, mein Kind”, erwiderte Lady Bainbridge stirnrunzelnd. “Aber lass bitte das Nachtlicht im Flur stehen. Ich bleibe noch auf, um sicher zu sein, dass Richard, wenn er zu Bett geht, nicht wieder vergisst, die Haustür abzusperren”, fügte sie seufzend hinzu. “Sonst könnte jeder Hergelaufene bei uns eindringen und etwas stehlen.”
Amy hätte sich nicht gewundert, wenn der stets reichlich dem Alkohol zusprechende Bruder nicht daran gedacht hätte, abzuschließen. Die Gefahr jedoch, dass ein Dieb sich an den Habseligkeiten der Familie vergreifen könnte, war weitaus geringer, da der Geiz der Mutter selbst in der Unterwelt schon sprichwörtlich sein musste. Schließlich waren alle Wertgegenstände vom Vater versetzt oder verkauft worden und die finanziellen Verhältnisse in den vergangenen zehn Jahren oft so beengt gewesen, dass man sogar Mühe gehabt hatte, die geringe Miete für das kleine Haus in der Curzon Street aufzubringen, das Mr. Cornack, ein langjähriger Freund der Familie, ihnen überlassen hatte. Das Personal war reduziert worden und bestand nur noch aus zwei Dienstmädchen, der Wirtschafterin, die gleichzeitig die Aufgaben der Köchin wahrnahm, und dem Kammerdiener des Bruders. Auch auf die beiden Kutschen hatte man verzichten müssen, da man nicht mehr in der Lage gewesen war, die Haltungskosten für die Pferde zu tragen. Die Tiere waren am Ende so abgemagert gewesen, dass man befürchten musste, sie könnten eines Tages entkräftet im Geschirr zusammenbrechen. Über diese Vorstellung war die Mutter so entsetzt gewesen, dass sie aus Angst, sich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, eingewilligt hatte, sich von den bedauernswerten Kreaturen und den Fahrzeugen zu trennen.
“Mir wäre es lieber, Mama, du würdest nicht warten, bis Richard zu Bett geht”, äußerte Amy ruhig. “Du weißt, dass Marten sich um ihn kümmert. Im Übrigen werden die Herren bestimmt bis in die frühen Morgenstunden spielen, was bedeutet, dass du hier einschläfst. Wenn du dann aufwachst, hast du dir die Frisur ruiniert und außerdem Nackenschmerzen.”
Die Mutter war zwar noch immer eine ansehnliche Frau und bemüht, sich ihre Schönheit so lange wie möglich zu bewahren, doch es ließ sich nicht leugnen, dass sie, seit sie Witwe war, mehr und mehr verblasste. Ihr braunes Haar war stumpf geworden. Sie hatte sehr abgenommen und inzwischen auch einen verbitterten Zug um den Mund.
“Oh, das habe ich nicht berücksichtigt”, erwiderte sie irritiert. “Aber ohne den Roman, den ich lese, um müde zu werden, kann ich nicht schlafen gehen.”
“Und wo ist das Buch?”
Suchend schaute Lady Bainbridge sich um. “Ich glaube, ich habe es im
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