Falkenjagd
wusste Bescheid. Ihr hatte Friederike
ein mit dem markgräflichen Siegel versehenes Schreiben gegeben, in dem
der Freifrau von Crailsheim auf Lebenszeit Wohnrecht auf Schwaningen
und eine Pension eingeräumt wurden. Außerdem würde sich Reitzenstein um
sie kümmern, da war sich Friederike sicher. Auch für Kersmackers hatte
sie vorgesorgt. Als sie am nächsten Tag die Grenzen des Ansbacher
Gebietes passierte, war es neunundzwanzig Jahre her, dass sie das
Markgrafentum zum ersten Mal betreten hatte.
Die Sonne schien unterwegs jeden Tag. Die
Luft war schon frühmorgens stickig, und der elsässische Kaufmann, der
seit Heilbronn mit in der Kutsche saß, döste die ganze Zeit und
behelligte sie nicht mit unnötiger Konversation. Als sie schließlich in
die Pfalz kamen und die gleißenden Windungen des Neckars sahen, war es
Friederike schon egal, ob ihr Fieber noch weiter gestiegen war oder sie
sich von der Hitze matter und merkwürdigerweise gleichzeitig leichter
und wohler fühlte. Lag sie schon wieder zu Hause in Schwaningen in
ihrem Bett, und der markgräfliche Leibarzt beugte sich über sie? Oder
drückte sie noch ihre Reisetasche an sich, schaukelte leicht hin und
her und merkte nicht einmal, dass ein Rad brach und ausgewechselt
werden musste?
Friederike störte auch nicht der Straßenstaub, der durch die
Ritzen drang und sich ihr wie früher der Puder auf Gesicht und Haar
legte. Sie spürte nur, wie jemand ihr von Zeit zu Zeit mit feuchten
Tüchern über die glühende Stirn wischte. Friederikes Gedanken waren
schon in der Zukunft.
Karl Heinrich, so vermutete sie, reiste gerade jetzt aus
Kopenhagen ab. Ich werde ein paar Tage früher als er eintreffen. Wenn
er dann kommt, werde ich schon ein Haus für uns gemietet haben. Groß
und elegant, damit wir unseren eigenen Salon eröffnen können. Dann wird
mir mein Liebster alles zeigen. Paris und die neue Welt. Die Welt, in
der bald schon Freiheit und Gleichheit gelten werden. Friederike
lächelte und sah zu ihrer Freude, wie ihr Herr Crusoe durch das
Kutschenfenster zuwinkte. Auch ihn hoffte sie, in Paris wiederzusehen.
Vielleicht auch Jérôme aus den Wäldern Französisch-Amerikas.
Dichtung und Wahrheit
Friederike Louise ist die zweite Tochter Friedrich Wilhelms I. von Preußen, der als ›Soldatenkönig‹ in die Geschichte einging. Mit vierzehn Jahren wird sie im Mai 1729 an den nur wenig älteren Markgrafen Carl Wilhelm Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Ansbach verheiratet. Preußen will mit dieser an sich nicht besonders standesgemäßen Heirat seinen Einfluss in Süddeutschland stärken und gleichzeitig die Linien des Hauses Hohenzollern wieder enger zusammenführen. Briefe und Zeugnisse belegen, dass diese Ehe trotz zweier Söhne von Anfang an noch unglücklicher als die meisten jener Zeit verläuft.
Besonders nach dem Tod des Erbprinzen gehen der Markgraf und die Markgräfin getrennter Wege. Carl flüchtet bald in eine eheähnliche Beziehung mit Elisabeth Winkler, einem Mädchen aus dem Volk, mit der er ein fast bürgerliches Familienleben führt. Seine größte Leidenschaft allerdings, für die er sein kleines Markgrafentum über die Jahre in den Ruin treibt, ist die glanzvolle barocke Falkenjagd.
Auch Friederike versucht wie nicht wenige Hochadelige ihrer Zeit, sich von der erdrückenden, kaum ein individuelles Leben ermöglichenden Enge des Hoflebens zu befreien. Anders als ihre berühmte ältere Schwester Wilhelmine von Bayreuth verwirklichte sie sich aber nicht in der Musik oder Kunst, sondern zieht sich auf das kleine Landschloss Schwaningen zurück, das ihr seit der Geburt des ersten Sohnes als persönlicher Besitz zusteht.
Wie die noch junge, gebildete und – nach Bildern und Berichten zu urteilen – sehr attraktive Markgräfin über Jahrzehnte in diesem weltabgeschiedenen Exil lebt, entzieht sich dem Wissen der Historiker. Umso mehr bietet sich die historische Person Friederike als Protagonistin einer Romanhandlung an, die gänzlich frei erfunden ist. Die naturwissenschaftlichen Ambitionen Friederikes in Falkenjagd sind ebenso wie ihre Freundschaft mit Elisabeth, über deren Leben wir außer ein paar Eintragungen im Kirchenbuch wenig wissen, und ihre Liebschaften reine Fiktion. Auch die meisten Nebenfiguren sind Gestalten der Phantasie, das kokett-verspielte höfische Leben des Rokoko, das auf den Forschungstrieb und den Freiheitswillen der Aufklärung trifft, spiegelt dagegen die historische Realität.
Tatsache ist auch, dass das kleine
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