Falsche Opfer: Kriminalroman
Das höchst vorläufige Dienstzimmer, von dem er ebenso vorläufig befreit war. Das eigentlich einem Polizeibeamten namens Gunnarlöv gehörte, der krank geschrieben war und an dessen Telefon er sich immer mit »Apparat Gunnar Löv, Paul Hjelm« gemeldet hatte. Erst als ein alter Kollege von Gunnarlöv, der jetzt in Härnösand stationiert war, hereinkam und nach Ekel-Nisse fragte, begriff er, warum am Telefon immer eine Pause entstand, wenn er sich meldete. Die Leute mussten sich erst von seiner eigentümlichen Aussprache des Namens Gunnarlöv erholen. Er machte große Augen, als er den Namen im internen Telefonverzeichnis nachschlug und ihn dort gedruckt sah: Nichts von wegen »Gunnar Löv«, sondern »Nils-Egil Gunnarlöv« stand da. Ekel-Nisse.
War ein solcher Name überhaupt erlaubt? Gab es nicht Gesetze? War das nicht das gleiche wie ein Kind auf den Namen Heroin zu taufen, was eine Großfamilie in Gnesta vor einiger Zeit versucht hatte, Heroin Lindgren? Aus irgendeinem Grund war der Name abgelehnt worden, und die Familie hatte eine ganze Serie von Leserbriefen in der Lokalpresse geschrieben, in denen sie gegen die Bevormundungsgesellschaft Sturm liefen.
Gunnarlöv war jedenfalls krank geschrieben, weil er sich während seiner Arbeitszeit in der Filiale der Föreningssparbank am Stureplan befunden hatte, als eine hysterische Bankräuberin von vierzehn Jahren mit hocherhobener Tuckerpistole hereinstürmte und, Zitat, »sämtliche Aktien mit hoher Verzinsung auf einem Tablett« verlangte. Gingen Tuckerpistolen nicht mit Starkstrom? dachte Gunnarlöv und trat auf die Bankräuberin zu, um sie in aller Bescheidenheit auf diesen Umstand hinzuweisen, worauf er zu seiner Verblüffung nicht weniger als vierunddreißig Heftklammern ins Gesicht bekam, schön verteilt. Wunderbarerweise traf keine davon seine Augen. Das erste, was er sagte, als er aus der Bewusstlosigkeit aufwachte, war: »Gehen Tuckerpistolen nicht mit Starkstrom?« Seine Frau starrte mit rotgeweinten Augen auf seinen bandagierten Schädel und antwortete: »Es gibt auch welche mit Akku.«
Die Geschichte von Nils-Egil Gunnarlövs Geschicken und Abenteuern.
Ekel-Nisse im Wunderland.
Nun ja, Paul Hjelms Geschichte war auch nicht gerade viel erhebender. Im Gegenteil, weil nämlich die Geschichte von Ekel-Nisse immerhin gewisse bizarre Pointen in sich barg.
Kerstin Holm kam zurück, sie blätterte in einem Notizblock.
»Willkommen in der Wirklichkeit«, sagte Hjelm schroff.
»Die sieht in Göteborg nicht viel anders aus.«
»Schwedens Scheißloch.«
»Sag mal, was quatschst du denn da?« stieß Kerstin Holm in ihrem gutmütigen Göteborger Dialekt aus.
»Nein, Entschuldigung. Nein, nein. Es war nur was, das vor ein paar Wochen durch die Medien ging. Black Armys Anrufbeantworter vor dem Pokalfinale von Göteborg gegen die Blauweißen im Ullevi-Stadion. Stockholmer Überheblichkeit und die Animosität zwischen Fußballfans in einer unguten Mischung.«
»Jaja, und jetzt haben wir es wieder. Stockholmer Überheblichkeit und die Animosität unter Fußballfans. Das gröbere Modell. Hast du ihn gesehen?«
»Anders Lundström aus Kalmar? Ja. Verdammt scheußlich. Der Kopf war ein einziger Matsch. Dass ein Bierkrug so viel Schaden anrichten kann.«
»Aber warum? Was war der Grund?«
Paul Hjelm sah Kerstin Holm an. Die beiden hatten eine gemeinsame Vergangenheit, die bewirkte, dass kein Blick zwischen ihnen unschuldig war.
»Meinst du das ernst?« fragte er, halb im Ernst.
»Ja. Doch, ich mein es ernst. Ich meine es wirklich ernst. Warum eskaliert die Gewalt?«
Er seufzte. »Ja du. Jetzt hat man es jedenfalls mal aus nächster Nähe gesehen. Ein gutes halbes Jahr schon. Die graue alltägliche Gewalt in der City. Es trägt nicht gerade dazu bei, die philantropischen Neigungen zu fördern. Bist du jetzt endgültig wieder hier, Kerstin?«
»Ich war ausgeliehen. Du weißt doch, wie es mit Fußballspielern ist, die ausgeliehen werden. Irgendwas stimmt nicht mit ihnen. Jetzt bin ich nicht mehr ausgeliehen.«
»Für immer also? Und wie war es, wieder zu Hause zu sein im Göteborgischen?«
»Dies hier ist jetzt zu Hause, so viel ist mir klargeworden. Aber das ist wohl auch alles.«
»Aber das Leben ist okay?«
»Genau. Okay. Nicht mehr und nicht weniger. Unter Kontrolle. Ein bisschen mehr könnte es schon sein ...«
»Ich verstehe. Bei mir ist es das gleiche. Ich glaube, ich stecke in einer Krise, so um die Vierzig. Sollte nicht noch was kommen? War das
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