Falsches Blut
Herd stand eine Vase mit Calla-Lilien– die Lieblingsblumen meiner Nichte. Meine Frau und ich hatten ihr jedes Jahr zum Geburtstag welche geschenkt.
Rachel lag in der Mitte des Zimmers. Sie war bleich, was darauf hindeutete, dass sich ihr Blut bereits im unteren Teil der Leiche zu sammeln begann, und hatte die Arme dicht an die Seiten gepresst wie ein Soldat in Habachtstellung. Ich starrte das Foto einen Moment lang an. Mein Magen verkrampfte sich. So zu sterben, hatte sie nicht verdient.
Dann sah ich die anderen Fotos durch– weitere Aufnahmen von der Küche und dem Wohnzimmer, die den Ermittlungsbeamten als Orientierungshilfe dienen würden, für mich jedoch nicht weiter interessant waren. Bei den Aufnahmen, die meine Nichte aus der Nähe zeigten, hielt ich inne. Der Fotograf hatte ein paar Aufnahmen von ihrer Positionierung geschossen, dann verschiedene Nahaufnahmen vom Kopf bis zu den Füßen. Sie wies weder offenkundige äußere Verletzungen auf, noch waren Blutlachen zu sehen. Immerhin. Allerdings brauchte ich noch nicht einmal den Bericht zu lesen, um zu wissen, dass der Täter ihre Leiche mit Absicht so hingelegt hatte.
Ich arbeitete mich durch den Stapel, bis ich auf eine Aufnahme von Rachels Hals stieß. Sie trug ein hellblaues Poloshirt, die Knöpfe offen. Ihre Haut wies keine Würgemale auf, doch der unterste Knopf der Knopfleiste war abgerissen, so dass lediglich ein paar lose Fäden aus dem Stoff ragten. Dem zuständigen Detective mochte dies vielleicht nicht weiter verdächtig erscheinen, mir hingegen schon, da es völlig untypisch für Rachel war. Ich kannte niemanden, der seine Sachen so penibel in Ordnung hielt wie sie. Sie hätte dieses Poloshirt erst wieder angezogen, wenn der fehlende Knopf wieder angenäht gewesen wäre.
Ich verlagerte mein Gewicht auf dem Stuhl und sah mir noch ein paar Fotos an, bis ich auf eine Aufnahme ihrer Taille stieß. Rachel trug einen Jeansrock, der an der Vorderseite mit Knöpfen anstelle eines Reißverschlusses geschlossen wurde. Allerdings waren die Knöpfe verkehrt zugeknöpft– ebenfalls undenkbar bei Rachel.
Ich sah die Fotos weiter durch. Schließlich blieb ich an einem hängen, das ich mir nicht erklären konnte. Es schien lediglich den Teppichboden zu zeigen. Verwirrt suchte ich die betreffende Ziffer auf der Begleitliste heraus: Offenbar hatte der Fotograf versucht, Spuren von Abdrücken festzuhalten. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich auf das Bild, bis ich zwei lange Streifen ausmachen konnte, wo das Teppichgewebe in eine Richtung plattgedrückt war. Rachel war also mit dem Oberkörper voran in den Raum gezerrt worden, wobei ihre Füße über den Teppich geschleift waren.
Ich spürte Galle in meiner Kehle aufsteigen.
Einen Moment lang starrte ich wie gebannt das Foto an, heilfroh, dass ich es erst jetzt, nach dem Gespräch mit meiner Schwester, zu Gesicht bekam. Da ich direkt von zu Hause zu ihr gefahren war, hatte ich vorhin keine Details über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter preisgeben können. Was wahrscheinlich besser so war.
Die restlichen Fotos zeigten ein seltsames Glasröhrchen mit einer bräunlich roten Flüssigkeit, das auf einem Beistelltisch in einem der Schlafzimmer gelegen hatte. Laut Bericht war es etwa so groß wie eine Zigarre; am Rand befand sich ein Lippenstiftabdruck, der von Rachel stammen könnte, hatte der Kriminaltechniker notiert. Die Flüssigkeit selbst hätte sich wie klebriger Hustensaft am Glas festgesetzt, als der Techniker es in die Hand genommen hatte, um es zu katalogisieren.
Was hast du nur getan, Süße?
Das Läuten meines Telefons auf dem Schreibtisch ließ mich zusammenzucken. Ich sah auf die Uhr. Es war bereits nach zehn, lange nach Dienstschluss, deshalb handelte es sich wohl kaum um jemanden, der einfach ein bisschen mit mir plaudern wollte. Ich nahm ab.
» Detective Rashid « , sagte ich. » Was kann ich für Sie tun? «
» Hallo, Rashid, hier ist Sergeant Hensley vom IMPD , Innenstadtrevier. Olivia Rhodes hat gerade jemanden im Fall Ihrer Nichte zur Befragung reingebracht. Ich dachte, ich sage Ihnen lieber mal Bescheid. «
Ich nickte. Hensley, ein alter Hase, war schon bei der Polizei gewesen, als unsere Arbeit noch nicht von zivilen Aufsichtskomitees überwacht worden und die Befragungsräume mit Kameras ausgestattet gewesen waren, damit wir bloß keinem Verdächtigen zu sehr auf die Pelle rückten. Als er in meinem Alter gewesen war, hatten Feuerwehrschläuche und Telefonbücher bei
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