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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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strömte aus ihm heraus, ohne daß er es kontrollieren konnte.
    »Nimm dir das verdammte, stinkende Haus. Nimm dir die verdammten stinkenden Regierungsämter. Nimm dir alles und...«
    Er kam ins Stocken.
    Er schwieg.
    Er starrte geradeaus. Einen Augenblick lang schien es, als wäre sein Kopf plötzlich leer. Er wirkte matt und verausgabt, die Woge der Energie, die ihn angetrieben hatte, schien versiegt.
    Sein Bewußtsein versuchte irgend etwas zu begreifen, aber er wußte nicht, was das war.
    Er wußte lediglich, daß sich durch das alles ein roter Faden zog. Wenn er diesen Faden packte und ihn durch das Labyrinth seines Fieberwahns zurückverfolgte, würde er sicherlich zur verregneten Piazza und zu jenem vollkommenen Augenblick mit den dahinfliegenden Möwen und den im Wind flat-ternden Flaggen kommen. Er sah diese strahlende Traurigkeit, vollständig, makellos und weit von sich entfernt, diesen Augenblick voller Ergebenheit und Hoffnung, in dem er eine Art wunderbarer Dankbarkeit dafür empfunden hatte, daß einen Moment lang alles einen Sinn ergeben hatte. Wenn Tonio nur tot wäre, wenn Tonio nur endlich unter der Erde wäre, wenn...
    dann konnte er frei atmen.
    Er starrte Tonio an. Ihm schien, als befänden sie sich schon eine Ewigkeit zusammen in diesem Zimmer.
    Die Kerzen zischten in ihrem Wachs, das Feuer war fast erloschen, dennoch war die Luft immer noch warm und ungesund feucht. Und sein Kopf, wie es in seinem Kopf hämmerte.
    Aber irgend etwas stimmte nicht.
    Irgend etwas stimmte nicht, weil das, was er da erzählt hatte, nicht gelogen war, weil dies keine Ausflüchte waren, kein Geschwätz, um Zeit zu schinden, bis seine Männer kamen. Das, was da aus ihm herausgesprudelt war, hatte die Kraft und den Glanz der Wahrheit gehabt, nur daß es einfach nicht die Wahrheit sein konnte, nein, das, was er da eben beschrieben hatte, konnte doch nicht sein Leben gewesen sein.
    Tonios Gesicht war verzerrt, seine Schönheit und seine Jugend hatten sich in etwas verwandelt, das umfassender und vielschichtiger als Unschuld war, etwas, das erkennen ließ, daß sich die Seele dieser Verführerin, dieses Zauberers in Aufruhr befand.
    Aber das kümmerte Carlo nicht.
    Er merkte, daß sich sein Bewußtsein auf einmal im Zustand des Chaos befand. Entsetzen lauerte im Hintergrund, es war das Entsetzen, das er auch auf der Piazza verspürt hatte. Wie hatte er es bei sich genannt? Etwas, das wie ein verdorrter Schrei in einem offenen Mund war!
    Er wollte verzweifelt etwas erklären, etwas, das bislang noch nie jemand verstanden hatte.
    Wann hatte er je gewollt zu morden, zu kastrieren, wann hatte er je gewollt, so zu kämpfen, wie er zu kämpfen gezwungen worden war...?
    Aber er brachte kein Wort heraus, er schwieg, und das machte ihm angst. Die Stille, die im Raum lag, machte ihm angst.
    Dann sah er, daß sich Tonio, so als hätte ihn sein Schweigen dazu veranlaßt, von seinem Stuhl erhob.
    Er starrte die langen, mageren Arme an, die nach dem schwarzen Kleid griffen, dem Mieder, den Röcken, der Perük-ke mit den kleinen Perlen.
    Während Carlo entsetzt zusah, legte Tonio das alles in einem Haufen auf die glimmenden Kohlen im Kamin.
    Eine Flamme schoß an den rußgeschwärzten Ofenkacheln empor, als Tonio mit dem Schürhaken in den Kohlen stocher-te. Die Perücke füllte sich innen mit Rauch.
    Die Perlen glitzerten im Licht, dann fingen die Haare ganz plötzlich Feuer und die Perücke begann in sich zusammenzu-fallen. Sie knisterte, als sie zusammenschnurrte wie ein eingefallener Mund. Der schwarze Taft darunter loderte hell auf.
    »Aber warum verbrennst du diese Sachen?« hörte sich Carlo fragen. Wieder fuhr er sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Die Flasche war leer, der Becher war leer...

    Eine schlimme Ahnung stieg in ihm auf, ein Gefühl, schlimmer als alles, was er bisher gekannt hatte. Es schien, als müsse er etwas sagen, müsse mit irgend etwas beginnen, er mußte irgendeinen Weg finden, um Zeit zu schinden, Zeit zu schinden, bis seine Männer ihn aufgespürt hatten. Aber dieses Entsetzen konnte er nicht abschütteln...
    »Dazu getrieben«, flüsterte er, und seine Stimme war so schwach, daß sie kaum zu hören war, »dazu getrieben, zu allem. Aber schließlich habe ich einen so hohen Preis dafür bezahlt, daß ich mich frage, ob es das wert war. War es das wert?« Er schüttelte den Kopf, aber diese Worte waren nicht für Tonio, sondern nur für ihn selbst bestimmt. Dennoch hatte Tonio sie gehört.
    Tonio

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