Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
Prolog
Es war Nacht. Am Strand rollten die Wellen sanft ans Ufer und zurück oder brachen leise rauschend an den Klippen. Es war Vollmond. In der Ferne sah man die Umrisse des Internats. Es war ein Internat für Kinder und Jugendliche reicher Eltern. Die nächstgrößere Stadt war Kapstadt, aber dahin war es ein weiter Weg. Sonst war nur ein kleines Dorf in der Nähe, weit in der Ferne konnte man schwaches Licht von dort erkennen. Aus Richtung des Internats kamen in dieser ruhigen sternenklaren Nacht zwei Mädchen angeschlichen. Ihre Namen waren Emily Neumann und Dascha Maria Kaiser, Schülerinnen der zehnten Klasse.
„Na hoffentlich guckt die alte Virgo nicht aus dem Fenster“, flüsterte Emily Dascha zu und deutete auf das Haus auf einer der Klippen. Emily war ein kleines, schlankes Mädchen mit wirren blonden Haaren und großen grünen Augen, die stets neugierig funkelten. Ihr kurzes grünes Kleid flatterte leicht im Wind. Dascha war optisch eher das Gegenteil ihrer Freundin; kurzes braunes Haar, auffällig so gestylt, dass es ihr linkes Auge verdeckte. Ihre Augen waren dunkelblau. Von der Figur her war sie deutlich rundlicher als Emily, jedoch noch nicht dick. Sie trug rote, weit geschnittene Klamotten, die ebenfalls im Wind flatterten. Misstrauisch schaute sie zu dem Haus auf der Klippe. Unter dieser Klippe lag das Ziel der beiden Mädchen; ein altes Schiffswrack. Keiner wusste, wie lange es dort schon lag, es war vermodert und mit Algen und Moos bewachsen. Das Innere war jedoch noch so gut erhalten, dass man nicht einbrach.
„Sieht alles ruhig aus da oben. Ich glaube, die schlafen“, antwortete Dascha. In dem Haus auf der Klippe wohnten Lilith und Cindy Virgo, Mutter und Tochter. Lilith Virgo war eine Meeresbiologin, die im Internat Vorträge hielt. Manchmal holte sie auch Schüler ab und ging mit ihnen auf Erkundungstour. Sie wohnte mit ihrer Tochter Cindy alleine dort. Cindy war eine Klasse unter Dascha und Emily und galt als Freak. Nachdem sie eine Weile beobachtet hatten, dass es in dem Haus auch dunkel blieb, gingen sie zu dem Wrack und kletterten hinein. Emily und Dascha hatten einen Raum an Deck in der Nähe des Steuerrades. Es hing schief in seiner Halterung und knarrte bei heftigeren Windstößen unheimlich. Emily zerrte kurz an der Tür, in die die Initialen D+E geritzt waren. Auch die anderen Räume „gehörten“ Schülern. Einen Raum auf diesem Wrack zu haben, war eine Art Sport unter den Schülern. Die Tür hing leicht schief in den Angeln, Emily musste eine Weile ziehen und rütteln, bis sie endlich mit einem Ruck aufsprang. Die beiden Mädchen traten ein. Möbel gab es hier keine mehr und auch die Fensterscheiben waren längst herausgebrochen. Sie hatten sich aber aus alten Kisten eine kleine Bank gebaut, die so positioniert war, dass sie problemlos sowohl den Strand, das Haus, das Internat und auch das Meer im Blick hatten. Jedes der Mädchen holte aus den Rücksäcken, die sie dabei hatten, ein Kissen, legte es auf die Bank und setzte sich darauf. Anschließend holten sie Zigaretten und jeweils ein Bier heraus, rauchten und tranken jede einen Schluck und beobachteten bedächtig, wie sich das Mondlicht im Meer spiegelte.
Nach einer Weile, die die beiden einfach nur dagesessen und dem Meer gelauscht hatten, hörten sie auf einmal laute Stimmen vom Strand. Genervt verdrehte Dascha die Augen.
„Müssen die Idioten so laut sein? Die wecken noch die Virgos auf“, meckerte sie und schaute aus dem Loch, wo einmal ein Fenster war. Auch Emily schaute neugierig nach draußen. Was sich da so lautstark näherte, waren zwei ihrer Klassenkameraden, Phillip und Marc. Da die beiden scheinbar nur Shorts trugen, wollten sie wohl eine Runde im Meer baden gehen. Kichernd beobachtete Emily die beiden Jungs, während sich Dascha wieder gemütlich zurücklehnte. Der einzige Junge, der Platz in ihrem Kopf hatte, war ihr Mitschüler Kyle Magna, in den sie unsterblich verliebt war. Lächelnd stellte sie sich vor, wie er sich nur mit Shorts bekleidet ins Meer stürzte und umherschwamm. Wie seine blonden nassen Haare an seinem Kopf kleben würden, seine großen braunen Augen sie freundlich dazu auffordern, zu ihm zu kommen. Grade als sie sich vorstellte, wie sie und er im Meer schwimmen würden, rüttelte Emily an ihrer Schulter. Verwirrt schaute Dascha sie an.
„Was denn? Ich war grad so schön am Träumen“, sagte sie vorwurfsvoll, doch Emily gab ihr ein Zeichen leise zu sein und zu lauschen.
Weitere Kostenlose Bücher