Farben der Herzen
Gefühl für Christian – den kleinen Jungen, der ohne Mutter aufwachsen musste, den desillusionierten Teenager und schließlich den wütenden jungen Mann – entwickelte. Christian war selbstbewusst genug gewesen, um gegen seinen Vater aufzustehen und dafür zu kämpfen, eigene Entscheidungen für sein Leben treffen zu dürfen. Colette schätzte den Mut, den er für diesen Schritt hatte aufbringen müssen. Und sie fragte sich, warum er nun alles riskierte und seine Prinzipien verletzte, nur um Geld zu machen. Sie mochte sich kaum vorstellen, was seine Großtante denken würde, wenn die Polizei Christian verhaftete. Denn er würde früher oder später zur Rechenschaft gezogen werden – und das würde sie schwer treffen.
Als Colette nun die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufging, begann sie zu lächeln. Sie freute sich auf den Abend mit der Frau, die sie nach ihrer kurzen Begegnung so sehr bewunderte. Im Augenblick waren Elizabeth und Alix die einzigen Menschen, die über das Baby Bescheid wussten. Vor Kurzem hatte sie zum ersten Mal die Bewegungen des Kindes gespürt und wollte diese Neuigkeit unbedingt Elizabeth mitteilen.
Gestern hatte Steve angerufen und eine Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen. Feige wie sie war, hatte Colette ihn nicht zurückgerufen. Sie wollte es noch tun, aber jetzt hatte sie – dank Elizabeth – einen guten Grund, ihn abzuweisen. Colette hoffte, dass er durch ihre Absage verstehen würde, dass sie nicht mehr daran interessiert war, ihn zu treffen. Wenn es unbedingt nötig wurde, würde sie es ihm auch direkt sagen, doch sie wünschte sich eigentlich, diese offene Auseinandersetzung umgehen zu können. Und es war schließlich nicht so, als hätte sich zwischen ihnen schon etwas Ernsthaftes entwickelt.
Nachdem sie ihr Apartment betreten hatte, stellte sie den Fernseher an, um sich die Lokalnachrichten anzusehen – das war zu einer Gewohnheit geworden. Der Fernseher leistete ihr abends Gesellschaft. Als Colette die Post zur Seite legte und in den Kühlschrank schaute, um sich ein Abendessen zu überlegen, berichtete der Nachrichtensprecher gerade über eine Massenkarambolage. Während sie noch darüber nachdachte, öffnete sie einen Becher Joghurt und löffelte ihn aus. Mit halbem Ohr lauschte sie den Nachrichten. Sie war erleichtert, zu hören, dass es bei dem Unfall keine Toten gegeben hatte.
Ihr Handy klingelte, und sie nahm an, dass es wieder Steve war. Doch auf dem Display erschien nicht seine Nummer. Nach kurzem Zögern nahm sie das Gespräch an. “Hallo”, sagte sie und erwartete beinahe, dass es ein Werbeanruf war und ihr jemand etwas verkaufen wollte.
“Hier spricht Christian.”
Ihre Freude, die sich mit Furcht mischte, verwirrte sie. Er hatte ihr versprochen, nicht mehr mit ihr in Kontakt zu treten, und bisher – abgesehen von der Mitteilung über Steve – hatte er Wort gehalten. Christian hatte sie seit über einem Monat weder angerufen, noch war er in den Laden gekommen.
Sie war erleichtert gewesen.
Und enttäuscht.
Sie wusste nicht, was sie noch für ihn empfand. Einerseits wollte sie nicht, dass er ein Teil ihres Lebens war, und andererseits träumte sie beinahe jede Nacht von ihm.
“Hallo.” Sie bemühte sich, möglichst desinteressiert zu klingen, und fragte sich, ob es ihr gelang. Colette wollte lieber nicht, dass Christian bemerkte, wie aufgeregt sie war, weil sie seine Stimme hörte. Doch das war genau das Gefühl, das alles andere überwog. “Deine Karte ist angekommen …”
“Ich wollte, dass du es weißt”, sagte er zögerlich. “Aber das war nicht Teil unserer Abmachung, habe ich recht?”
“Nein, das war es nicht.” Wenn er sich schuldig fühlte, weil er sein Versprechen gebrochen hatte, musste sie sich genauso schuldig fühlen, weil sie sich darüber freute, von ihm zu hören. Das würde sie jedoch niemals zugeben. “Woher wusstest du über Steve Bescheid?”, fragte sie. “Hast du ihn überwachen lassen?” Die eigentliche Frage musste jedoch lauten: Warum hätte er das tun sollen?
“Nein”, erwiderte er knapp. “Ich kenne jemanden, der mit ihm befreundet war.”
“Oh.” Colette war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte.
“Triffst du dich noch immer mit Grisham?”, wollte Christian wissen.
Es ging ihn nichts an – dennoch hatte er ihr womöglich unsäglichen Kummer erspart. “Nein.” Sie ging nicht näher darauf ein.
“Gut.”
Das Schweigen zwischen ihnen machte sie nervös. Schließlich fragte Christian:
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