Farmer, Philip Jose - Flusswelt 01
sagte dann: »Das ist doch jetzt egal, Mr. Burton. Ich will es gerne später erklären. Aber Sie sollen wissen, daß ich sehr bewegt bin und momentan nicht in der Lage, meine Sinne zusammenzuhalten. Ich nehme an, daß Sie das verstehen.«
Er warf Mrs. Hargreaves einen eingehenden Blick zu, schüttelte den Kopf und fragte: »Lautet Ihr Vorname Alice?«
»Wieso?« fragte sie. »Natürlich.« Sie lächelte und entpuppte sich dabei sogar ohne Haar als absolute Schönheit. »Woher wissen Sie das? Haben wir uns schon einmal getroffen? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Alice Pleasance Liddell Hargreaves?«
»Ja.«
»Ich muß mich hinsetzen«, sagte der Amerikaner. Er begab sich unter die Bäume, nahm Platz und lehnte den Rücken gegen den Baumstamm. Seine Augen schienen ein wenig glasig zu sein.
»Ein verspäteter Schock«, erklärte Burton.
Es würde sicher nicht lange dauern, dann würden auch die anderen erneut über ihre Lage nachdenken und ähnlich reagieren. Im Moment war es jedoch am wichtigsten, für Obdach zu sorgen, Nahrung zu sammeln und einen gemeinsamen Selbstverteidigungsplan zu entwickeln.
In Italienisch und Slowenisch sprach Burton auf die anderen ein und stellte sie einander vor. Niemand protestierte, als er den Vorschlag machte, ihm zum Flußufer hinab zu folgen.
»Ich bin sicher, daß ein jeder von uns durstig ist«, sagte er. »Und außerdem sollten wir unbedingt diesen steinernen Pilz einer Untersuchung unterziehen.«
Die dazwischen liegende Ebene war rasch durchquert. Die Leute saßen oder lagen auf dem Gras. Sie kamen an einem heftig streitenden, rotgesichtigen Paar vorbei, das allem Anschein nach einmal verheiratet gewesen war und hier seinen lebenslangen Disput fortsetzte. Plötzlich stand der Mann auf und ging weg. Die Frau sah ihm ungläubig nach und rannte dann hinterher, doch er stieß sie mit solch brutaler Gewalt von sich, daß sie das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Schnell tauchte er in der Menge unter, während die Frau herumlief, seinen Namen schrie und ihm damit drohte, einen Skandal zu entfachen, wenn er nicht auf der Stelle zu ihr zurückkehren würde.
Burton dachte kurz an seine eigene Frau Isabel. Er hatte sie in dieser Menge nicht gesehen, aber das mußte nicht bedeuten, daß sie nicht hier war. Auch sie würde nach ihm suchen und nicht eher aufgeben, bis sie ihn gefunden hatte.
Er drängte sich durch die Menge bis ans Flußufer, kniete sich nieder und begann mit der hohlen Hand Wasser zu schöpfen. Es war kühl, klar und erfrischend. Burtons Magen fühlte sich absolut leer an. Kaum hatte er den Durst gestillt, als er ein starkes Hungergefühl verspürte.
»Die Wasser des Lebensflusses«, sagte er. »Der Styx? Lethe? Nein, Lethe nicht. Ich erinnere mich an alles aus meiner irdischen Existenz.«
»Ich wünschte, ich könnte die meinige vergessen«, sagte Frigate.
Alice Hargreaves kniete am Rand des Flusses und füllte eine Hand mit Wasser, während sie sich mit der anderen abstützte. Sie war wirklich von liebreizender Gestalt, dachte Burton und fragte sich, ob sie wohl blond war, wenn ihr Haar wieder wuchs – falls es je wieder wuchs. Vielleicht hatte derjenige, dem sie die hiesige Existenz zu verdanken hatten, aus irgendeinem Grund entschieden, daß sie für den Rest ihres Daseins kahlköpfig bleiben würden. Dann erklommen sie die Spitze des nächstliegenden Pilzfelsens. Er war von einer körnig-grauen Oberfläche, in der sich da und dort rote Flecke zeigten. Sie wies tatsächlich siebenhundert Vertiefungen auf, die fünfzig konzentrische Kreise bildeten. In der Mittelpunktvertiefung steckte ein Metallzylinder. Ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit einer großen Nase und einem fliehenden Kinn untersuchte ihn gerade. Als die anderen erschienen, schaute er lächelnd auf.
»Er läßt sich nicht öffnen«, erklärte er auf deutsch. »Aber vielleicht ist es auch nur eine Frage der Zeit. Ich bin sicher, daß er nur eine Art Hinweis für uns darstellen soll.«
Er stellte sich als Lev Ruach vor und wechselte, nachdem Burton, Frigate und Mrs. Hargreaves ihre Namen genannt hatten, sofort in ein stark akzentuiertes Englisch über.
Mehr zu sich selbst als den anderen zugewandt sagte er: »Ich war Atheist, aber jetzt bin ich mir meiner Sache nicht mehr ganz so sicher. Dieser Ort stellt sogar für einen Atheisten einen ziemlichen Schock dar, wissen Sie?
Und dieser Schock unterscheidet sich von dem, der all jene erfassen muß, die an ein Weiterleben nach
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