Keine Lady ohne Tadel
1
In Wiltshire braut sich ein Skandal zusammen
Shantill House
Limpley-Stoke, Wiltshire
Es ist eine unter Frauen allgemein anerkannte Tatsache, dass die Aufgabe des Ankleidens einfacher ist, wenn lediglich der Körper bedeckt werden soll, komplizierter jedoch, wenn auf reizvolle Weise gewisse Partien enthüllt werden sollen.
In jenen längst vergangenen Tagen, als Esme Rawlings die ungekrönte Königin der Londoner Gesellschaft war, benötigte sie zum Ankleiden sehr viel Zeit und sehr viel Mühe. Nach all den Anstrengungen pflegte sie wie ein schöner Schmetterling aus seinem Kokon zu schlüpfen: Seidig fielen ihre schwarzen Locken über weiße Schultern, ihr Mieder schien auf wundersame Weise in der Luft zu schweben, und ihre herrlichen Kurven waren in so luftige Stoffe gehüllt, dass vielen Gentlemen bei ihrem Anblick die Knie weich wurden. Andere Gentlemen wiederum wandten sich entrüstet von der schönen Verführerin ab – jeder, wie es ihm seine Neigung diktierte.
Heutzutage benötigte Esme zum Ankleiden lediglich zwanzig Minuten, und wenn zufällig ein Gentleman in ihre Nähe gekommen wäre, so wäre er beim Anblick einer Frau mit einem Bauch von der Größe einer Kanonenkugel allenfalls von Unbehagen befallen worden.
»Ich bin so fett wie eine Schweinehaxe«, klagte Esme und betrachtete sich im Spiegel über ihrer Frisierkommode.
»Das würde ich nun nicht sagen«, bemerkte ihre Tante mit ihrer affektierten Stimme. Die Viscountess Withers saß auf einem zierlichen Stuhl und kramte in ihrer Handtasche. »Verflixt, ich kann mein Taschentuch nicht finden.«
»Unglaublich stämmig bin ich geworden«, fuhr Esme niedergeschlagen fort.
»Du bekommst schließlich ein Kind«, sagte Arabella, blickte auf und kniff beim genauen Hinschauen die Augen zusammen. Ein Pincenez wäre ihr sicherlich gut zustattengekommen, doch nach dem Diktat der Mode war es undenkbar, Augengläser zu tragen. »Mir hat der Anblick von Schwangeren nie sonderlich gefallen, du aber, meine Liebe, könntest mich tatsächlich eines Besseren belehren. Weißt du, dass du einfach bezaubernd aussiehst? Vielleicht wird dein Beispiel Schluss machen mit dieser lächerlichen Tradition, dass die Frauen sich vor und nach einer Geburt völlig im Haus vergraben. Was für ein fürchterliches Wort – Wochenbett.«
»Ach, pah!«, rief Esme. »Ich habe doch jetzt schon die Ausmaße eines Elefanten. So könnte ich mich nicht mehr nach London wagen!«
»Ich halte deine Ausmaße eher für normal, auch wenn ich mich mit Schwangerschaften nicht so gut auskenne. Eigentlich habe ich vorher noch nie eine Frau gesehen, die so kurz vor der Niederkunft stand. Wann, denkst du, wird das Kind kommen? Morgen?«
»Babys sind nicht wie Hausgäste, Tante Arabella. Sie entscheiden selbst, wann sie kommen, so habe ich es jedenfalls verstanden. Die Hebamme scheint zu glauben, dass es durchaus noch ein paar Wochen dauern kann.« Worin die gute Frau sich irrte, da war Esme ziemlich sicher. Wenn sie noch weiter anschwoll, würde man sie im Rollstuhl herumfahren müssen wie den Prinzen von Wales, wenn ihn die Gicht plagte.
»Auf jeden Fall bin ich ja jetzt da und werde dir beistehen, wo ich nur kann!« Arabella streckte die Arme aus, als finge sie gerade das Kind auf.
Esme konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Arabella war ihre liebste Verwandte und nicht nur allein deshalb, weil sie einen ähnlich skandalösen Ruf genoss wie sie selbst. »Es ist sehr lieb, dass du zu Besuch gekommen bist, Tante Arabella. Eine wahre Heldentat mitten in der Londoner Saison.«
»Unsinn! Auch außerhalb Londons kann man Zerstreuung finden, sogar in Wiltshire, wenn man sich Mühe gibt. Ich habe mir gedacht, wie trostlos dir zumute sein muss, so ganz allein auf dem Land. Ich fand es immer schon töricht, wie Frauen sich in die Wildnis zurückziehen, nur weil sie ein Kind erwarten. Die Franzosen sind in solchen Dingen viel praktischer veranlagt. Marie Antoinette soll noch bis kurz vor ihrer Niederkunft getanzt haben.«
»Das hat sie wohl«, bemerkte Esme zerstreut. Sie überlegte, ob sie in einem schwarzen Kleid schlanker wirken würde. Allerdings hatte sie die Volltrauer abgelegt, und schon allein die Vorstellung, erneut komplett in Schwarz gekleidet zu sein, wirkte niederschmetternd auf sie. Ihr Körperumfang freilich auch.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar Leute einzuladen. Morgen kommen sie«, fuhr die Tante aufgeräumt fort. »Heute Abend speisen wir noch unter uns,
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