Farmer, Philip Jose - Flusswelt 01
keine Lust dazu verspüren, ihn auf kleiner Flamme zu rösten. Eher würde ich ihn verhungern lassen – oder ihm gerade soviel zu Essen geben, daß er am Leben bleibt. Aber auch das würde ich wahrscheinlich nicht tun. Was würde es schon bringen?
Würde er dadurch etwa seine Ansichten ändern? Würde er dadurch endlich anerkennen, daß auch wir Juden menschliche Wesen sind? Nein, ich würde nichts anderes tun, als ihn töten, wenn er sich in meiner Gewalt befände – um zu verhindern, daß er anderen etwas antut. Obwohl ich nicht glaube, daß er, nachdem ich ihn umgebracht hätte, auch tot bliebe. Nicht hier.«
»Sie sind ein wahrer Christ«, versicherte Frigate grinsend.
»Ich dachte, Sie wären mein Freund!« erwiderte Ruach tadelnd.
12
Es war jetzt bereits das zweite Mal, daß Burton von den Nazis und den Namen Hitler hörte. Er nahm sich vor, mehr über diesen Mann herauszufinden, aber im Moment war es wohl wichtiger, das Gespräch abzubrechen und die Hütten wieder instandzusetzen. Glücklicherweise sahen die Beschädigungen aus der Nähe weniger schlimm aus als auf den ersten Blick. Mit Scheren, Steinbeilen und Messern bewaffnet, schnitten sie Äste, Zweige und hohes Gras und machten sich daran, die Unterkünfte mit Dächern auszustatten. Was dabei herauskam, befriedigte Burton zwar nicht hundertprozentig, aber für den Anfang würde es schon genügen. Vielleicht stießen sie irgendwann auf einen herumstreunenden Dachdecker, der ihnen zur Hand gehen konnte. Die fehlenden Betten würden – zumindest für einige Zeit – durch Grashaufen ersetzt werden müssen, und mit dem gleichen Material konnte man sich auch zudecken, sollte es zu kalt werden.
»Wir können Gott – oder wem auch immer wir dieses Leben zu verdanken haben – dafür dankbar sein, daß es hier keine Insekten gibt«, sagte Burton.
Er hob den kleinen Metallbehälter, der noch immer einige Schlucke von dem ausgezeichnet schmeckenden Scotch enthielt.
»Ich möchte auf ihn anstoßen. Hätte er uns auf einer Welt, die ein exaktes Duplikat der Erde gewesen wäre, ins Leben zurückgerufen, müßten wir unsere Betten jetzt mit einer Armee von beißendem, kneifendem, stechendem und blutsaugendem Getier teilen.«
Sie nahmen um ein rasch entzündetes Feuer Platz, an dem sie noch für eine Weile rauchten, tranken und sich unterhielten. Die Schatten verdunkelten sich allmählich, der Himmel verlor die Bläue, und die großen Sterne tauchten wie vor dem Hintergrund eines nachtschwarzen Tuches am Firmament auf. Sie leuchteten in allen Farben des Spektrums. Es war ein atemberaubender Anblick.
»Wie eine Zeichnung von Sime«, sagte Frigate.
Burton hatte den Namen Sime noch nie gehört, also war es kein Wunder, daß die Hälfte jeglicher Konversation mit den Leuten aus dem neunzehnten Jahrhundert daraus bestand, ihnen bestimmte Dinge und Ausdrücke zu erklären.
Schließlich stand Burton auf, ging um das Feuer herum und hockte sich neben Alice auf den Boden. Sie war gerade aus der benachbarten Hütte zurückgekehrt, wo sie Gwenafra zu Bett gebracht hatte.
Burton bot ihr ein Stück Kaugummi an und sagte: »Ich habe nur eine Hälfte genommen. Wollen Sie die andere?«
Sie sah ihn ausdruckslos an und erwiderte: »Nein, danke.«
»Wir haben hier acht Hütten«, sagte Burton, »und es gibt keinen Zweifel daran, wer mit wem unter einem Dach schlafen wird – ausgenommen Wilfreda, Sie und ich.«
»Ich glaube, es gibt auch über uns drei keine Zweifel«, entgegnete Alice.
»Sie schlafen also bei Gwenafra?«
Sie wandte das Gesicht von ihm ab. Burton blieb noch einige Sekunden lang neben ihr hocken, dann stand er auf, kehrte an seinen alten Platz zurück und setzte sich neben Wilfreda.
»Sie können gleich weitergehen, Sir Richard«, sagte das Mädchen zu ihm. Sie preßte die Lippen aufeinander. »Der Herr möge mir verzeihen, aber ich habe keine Lust, hier als Notlösung angesehen zu werden. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sie gefragt, wenn niemand Ihnen hätte zuhören können. Schließlich habe auch ich meinen Stolz.«
Burton schwieg betreten. Hätte er seinem ersten Impuls nachgegeben, wäre sie jetzt wahrscheinlich noch mehr beleidigt. Er war zu geringschätzig mit ihr umgegangen. Selbst wenn sie in ihrem vorherigen Leben eine Hure gewesen war, hatte sie ein Recht auf menschenwürdige Behandlung, ganz besonders seit er wußte, daß es der Hunger gewesen war, der sie auf die Straße getrieben hatte, was er anfangs nicht so einfach hatte
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