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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Burschen, und seltsam. Bestimmt sind’s keine Hiesigen. Einen Hiesigen erkennt Dorly auf den ersten Blick – woran, das wüsste sie nicht zu sagen. Man kommt einander einfach bekannt vor, auch wenn man sich noch nie begegnet ist. Diese beiden hingegen sind wahrscheinlich Ausländer. Der Große hat einen freundlichen Blick wie, sagen wir, ein Österreicher. Und der Kleine könnte gut ein Finne sein, so grimmig, wie der dreinschaut.
    Dorly muss an den zwei Burschen vorbei, um hinter den Verkaufstresen zu gelangen. Das Grammophon spielt noch immer Tango. Da deutet der größere, der Österreicher, eine Verbeugung an und wirft sich in Tanzpositur – und weil er so bubenhaft unbeholfen lächelt, nimmt Dorly die Aufforderung zum Spaß an und tanzt ein paar Schritte mit ihm im langsamen Alla-Breve-Takt. Den Staubwedel hat sie samt ihrer rechten Hand in die linke des Österreichers gelegt, so dass das rosa Federbüschel vor ihnen hertanzt wie ein betrunkener Vogel. Wenn jetzt nur der Abteilungsleiter nicht vorbeischaut. Dorly hält sich den Österreicher vom Leib mit forsch gezischten Befehlen. »Rücken gerade! Nicht auf die Füße schauen! Hände nach oben!« Der Österreicher ist ein sehr schlechter Tänzer, aber er gehorcht, macht tapsige Schritte und Drehungen und zwinkert seinem kleinen Freund zu, dem Finnen. Der lehnt an einem Betonpfeiler, hat die Hände in die Manteltaschen vergraben und schaut zu. Endlich ist das Stück zu Ende, die Nadel schabt durch die leere Rille.
    Dorly geht zurück hinter den Tresen, versteckt den Staubwedel irgendwo und rückt ihren Rock zurecht. Der Große bedankt sich artig. Sie bemerkt an seinem Akzent, dass er kein Österreicher ist, sondern Deutscher, aus dem Norden vermutlich. Im Augenwinkel sieht sie, dass der Kleine sich vom Betonpfeiler löst und auf sie zukommt. Der ist seltsam. Der Große ist ja schon seltsam, aber der Kleine ist noch viel seltsamer. Dorly ist plötzlich sehr damit beschäftigt, ihr Geschenkpapier, ihre Schere und die goldenen Bändel in Ordnung zu bringen.
    »Die beiden waren zwei durchaus gegensätzliche Charaktere«, sollte Dorly Schupp fünf Wochen später aussagen, als sie nachts um zwei Uhr vom Basler Ersten Staatsanwalt einvernommen wurde. »Kurt Sandweg war ein kindlicher Draufgänger, der gerne lachte und das Blaue vom Himmel reden konnte. Waldemar Velte war ein ernster Typ, der nur den Mund aufmachte, wenn er etwas mitzuteilen hatte. Mir waren beide von Beginn weg sympathisch, besonders aber Velte, gerade weil er kein Charmeur war.«
    Der Kleine bleibt vor dem Tresen stehen und wartet, bis Dorly ihn anschaut. Er ist kaum größer als sie, vielleicht sogar ein bisschen kleiner, wenn man seine ziemlich hohen Absätze in Rechnung stellt.
    »Bitte, Fräulein – ich möchte eine Schallplatte kaufen.«
    »Ja?«
    »›In Deine Hände‹ von Willi Kollo.«
    »Tut mir leid, die kenne ich nicht.«
    »Sie ist ganz neu.«
    »Ich glaube nicht, dass wir die am Lager haben. Einen Augenblick, bitte … Nein, tut mir leid. Die müsste ich außer Haus bestellen. Sie könnten sie dann morgen hier abholen.«
    »Das wird nicht gehen.« Der Kleine nimmt die Hände vom Tresen und bereitet den Rückzug vor. »Kurt, wann fährt der Zug morgen früh?«
    »Um sieben Uhr achtundvierzig.«
    »Wir öffnen erst um acht. Tut mir leid.«
    »Tut mir auch leid. Auf Wiedersehen, Fräulein.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Dorly will sich schon abwenden, da hält der Große den Kleinen am Ellbogen zurück. »Du, wir können einen Tag länger in Basel bleiben, falls du – auf die Platte warten willst. Übermorgen fährt auch wieder ein Zug.«
    »Wenn du meinst.«
    »Werden Sie morgen wieder hier sein, Fräulein?« fragt der Große.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht muss ich in einer anderen Abteilung aushelfen.«
    »Dürften wir dann um Ihren werten Namen bitten?«
    Dorly zögert.
    »Müssen wir nicht angeben können, wer unsere Bestellung entgegengenommen hat?«
    »Eigentlich nicht.« Dorly sieht hinüber zum Kleinen. Der hat sich abgewandt und scheint jetzt nur noch auf den Lift zu warten. »Na, meinetwegen. Ich heiße Viktoria Schupp. Meine Kolleginnen nennen mich Dorly.«
    »Welches Sternzeichen haben Sie?«
    »Das müssen Sie jetzt aber bestimmt nicht wissen!«
    »Wir sind beide Löwe, geboren am dritten und vierten August 1910.«
    »Nur einen Tag auseinander?«
    »Ich bin der Ältere, der dort der Jüngere.«
    »Ich bin Wassermann«, sagt Dorly. »Zweiter Februar – 1908.«
    Hier lügt

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