Feenfuchs und Feuerkuss
seit längerer Zeit
nicht mehr gespielt hatte, war ihr der Überblick über das Chaos verloren
gegangen und es dauerte etwas, bis sie das Blatt gefunden hatte.
Luisa glättete die Eselsohren und
stellte es auf den Notenhalter. Sie spreizte die Finger, legte sie auf die
Tasten und hielt einen Moment inne.
Vorsichtig spielte sie die ersten
Töne und atmete erleichtert auf, da das Klavier wie neu klang.
Der
Klavierstimmer hat letzte Woche ganze Arbeit geleistet , dachte Luisa und musste grinsen,
als sie sich an den korpulenten, rothaarigen Mann erinnerte, der drei Stunden
für die Arbeiten gebraucht und dabei wie ein Rohrspatz geschimpft hatte.
Luisa und ihre Mutter hatten das
Erbstück anscheinend etwas vernachlässigt und mussten sich eine Predigt
anhören, die sich gewaschen hatte.
Trotz der wunderbar klaren Töne,
misslang ihr der erste Satz des Stückes. Sie war einfach zu abgelenkt.
Luisa schüttelte die Hände aus
und versuchte ihren Kopf frei zu bekommen. Dann begann sie noch einmal von
vorne.
Vielleicht
hätte ich mir nicht direkt ein derart schweres Stück aussuchen sollen , ärgerte sie sich und nahm sich
vor, in Zukunft wieder regelmäßig zu üben.
Nach einer Weile fand sie dann
aber den richtigen Rhythmus und der Musik gelang es, sie davon zu tragen. Ihre
Finger bewegten sich wie von selbst und sie brauchte fast gar nicht mehr auf
die Noten zu schauen.
Beschwingt von diesem Erfolg,
versuchte sie sich an einer Improvisation, in der sie die einzelnen Motive neu
anordnete.
Doch auch in diesem Bezug schien
sie etwas eingerostet zu sein, da ihr die eigene Version des Stückes überhaupt
nicht gefiel. Frustriert brach sie ab und blätterte durch die Notenblätter.
Aber irgendwann sah sie ein, dass
ihr das Klavierspiel heute nicht die Ruhe brachte, die sie sonst sofort
überkam, wenn sie auf dem abgenutzten Klavierhocker saß.
Luisa klappte den Klavierdeckel geräuschvoll
zu und stand auf, um sich eine Beschäftigung zu suchen, die sie besser von
ihren Gedanken an ihr Pferd und ihren Nachhilfelehrer ablenkte.
Sie ging schließlich hinaus in
den Garten und schmiss den Rasenmäher an, um die Wiese zu kürzen, die
eigentlich noch keinen Schnitt nötig hatte. Der Benzingeruch hüllte sie ein und
der Lärm betäubte ihre Ohren.
Luisa wurde erst nachmittags aus
ihrem Gedankenchaos erlöst, als endlich die Haustür aufgeschlossen wurde.
„Hey, Ma“, rief Luisa und eilte
zu ihrer Mutter ins Erdgeschoss hinab.
„Hallo, Luisa. Wie war die
Nachhilfe?“
„Gut“, sagte sie kurz angebunden.
„Können wir zu Ophelia fahren?“
„Nein.“
„Bitte, Mama. Ich habe den ganzen
Tag gelernt und Hausaufgaben gemacht. Ich hab sogar den Rasen gemäht. Bitte!“
Eva schob den Unterkiefer vor und
betonte damit ihr spitzes Kinn. Viele Leute sagten, dass Luisa ihrer Mutter
ähnlich sähe. Angeblich hatten sie die gleiche Gesichtsform und die gleiche Nasen-
und Mundpartie. Aber wenn Luisa in den Spiegel blickte, fühlte sie sich eher an
ihren Vater erinnert, denn Ansgar hatte ihr die dunkle Lockenmähne und die
hellbraunen Augen vererbt.
„Ich habe noch viel zu tun“,
sagte ihr Mutter jetzt.
„Dann fahre ich mit dem Rad hin.
Ist kein Problem.“
Eva schüttelte den Kopf. „Nein.
Dann sehe ich dich erst in ein paar Stunden wieder.“ Sie legte ihre Ledertasche
auf das weiße Flurschränkchen. „Ich muss noch einige Akten durchsehen. Dann
fahre ich dich. Du hast dann eine halbe Stunde. Nicht mehr!“
Luisa atmete tief durch. Besser als nichts, dachte sie sich. „Wenn
du nicht mehr Zeit für mich entbehren kannst…“
Ihre Mutter sah sie streng an. „Hast
du heute schon gegessen?“
„Brot. In der Schule.“
„Setzt du uns ein paar Nudeln
auf?“
„Kann ich machen.“
„Gut. Ich bin dann mal im
Arbeitszimmer.“
Luisa antwortete nicht, denn
diese Worte kannte sie nur zu gut aus Evas Mund. Ihre Mutter war Anwältin für
Umweltrecht und hatte diesen Job zu ihrem Hauptlebensinhalt gemacht.
Luisa ging in die Küche und
füllte Wasser und Salz in einen Topf.
„Wenigstens sehen wir uns gleich,
Ophelia“, flüsterte sie und stellte den Gasherd an.
3 Fabelwesen
Eva Frost lenkte den hellgrauen
Hybridwagen rasant die Straße entlang, die aus der Stadt hinaus zum Lichthang Gestüt
führte.
Luisa schaute abweisend aus dem
Seitenfenster und versuchte ihre Mutter zu ignorieren, die ihr mal wieder einen
Vortrag über Schule, schlechte Noten und ihr anmaßendes Verhalten im
Allgemeinen hielt:
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