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Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Der Prinz in meinem Maerchen - Roman

Titel: Der Prinz in meinem Maerchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon
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M ichelle stand in ihrem neuen Laden und versuchte, sich einen Namen auszudenken ( Nightingale’s? Home Sweet Home? Küchenparadies? ), während sie sich den Verkaufsraum schon mit handgenähten Lavendel-Duftsäckchen, schweren Bienenwachskerzen und – das war das Wichtigste – ohne den Gestank von geräucherten Makrelen vorstellte.
    Das riesige Ausmaß dieses Unterfangens, das sie allein stemmen wollte, wurde ihr zum fünften Mal an diesem Tag bewusst. Doch Michelle runzelte nur die Stirn und ermahnte sich – ebenfalls zum fünften Mal an diesem Tag –, dass sie das Richtige tat. Ein Neubeginn, ein neues Geschäft. Eine neue Michelle.
    In einer heilen Welt hätte sie niemals einen Laden mit schicken Wohnaccessoires in einem alten Fischgeschäft eröffnet. Und wenn, dann ganz sicher nicht in einem Provinzstädtchen im hinterletzten Winkel Englands. Doch Michelle besaß ein gewisses Verkaufstalent, und ihr war klar, dass bei diesem Laden alles andere stimmte. Das heruntergekommene Longhampton mit seinen Häuserreihen aus rotem Backstein und einer deprimierenden Fußgängerzone aus Beton lechzte geradezu nach hübschen Dingen. Außerdem war das Ladenlokal günstig (was wohl auf den Fischgestank zurückzuführen war), hell und geräumig, und es lag an der Hauptstraße in direkter Nachbarschaft zu einigen Bürogebäuden, deren Angestellte während der Mittagspause sicher gerne zum Stöbern vorbeischauen würden. Und schließlich – und das war die Hauptsache – war dieses Geschäft exakt zweihundertzwanzig Kilometer von Harvey Stewart entfernt.
    Diese Tatsache war der einzige Teil in Michelles neuem Leben, den sie geplant hatte. Denn Harveys Hirn fing an, unter akutem Sauerstoffmangel zu leiden, sobald er sich mehr als fünfzehn Kilometer vom Autobahnring um London entfernte. Somit war Michelle hier, wo selbst die Hunde Steppwesten trugen, sicher vor ihm und seinen subtilen Methoden, sie niederzumachen.
    Beim Gedanken an Harvey merkte Michelle, wie ihr unweigerlich der Schweiß ausbrach. Schnell lenkte sie sich ab, indem sie ihren großen Schlüsselbund immer wieder in die Luft warf und auffing, während sie sich auf die neuen Geschäftsräume konzentrierte. Sie würde die Plastikregale entsorgen, die Wände in einem warmen, sanften Beigeton streichen und alles mit hübschen, witzigen Artikeln füllen. Wenn es die beruhigenden Kräfte des Renovierens und Einrichtens nicht gegeben hätte, bezweifelte Michelle, dass ihre Ehe die letzten fünf Jahre überhaupt überstanden hätte. Ihr Haus erinnerte an die schottische Forth Road Bridge: Sobald ein Projekt abgeschlossen war, hatte Michelle wieder von vorne angefangen, um sich von allem abzulenken.
    Harvey hatte immer behauptet, sie leide unter ZPS, einer »zwanghaften Perfektionsstörung«. Sie könne einfach nicht zufrieden sein, bis nicht alles perfekt sei. »Wenn du denn die leiseste Ahnung davon hättest, was perfekt überhaupt ist.«
    Eine Sekunde lang geriet Michelle auf ihren High Heels ins Straucheln, als stünde sie am abbröckelnden Rand einer Felsklippe. Ihr Kopf fühlte sich leicht und schwindelig an, losgelöst vom Rest des Körpers. Als sie zur Haustür hinausmarschiert war, hatte sie sich verboten, allzu sehr über das nachzudenken, was sie da tat. Panik war schon seit Längerem immer wieder in ihr aufgeflackert, doch letzten Endes war sie gegangen, als ihre Wut am größten war – ohne einen Plan, ohne eine Liste mit Dingen, die sie anpacken wollte, ohne ihre gewohnten Stützen. Und so stand sie nun hier, ganz allein in einer fremden Stadt – aber sie war frei. Der Rest ihres weltlichen Besitzes würde am Freitag von einem Möbelwagen geliefert werden, im Augenblick jedoch fühlte sie sich so ungebunden wie ein Luftballon, der versehentlich losgelassen wurde.
    Ihre Handfläche schmerzte, und sie merkte, dass sie die Schlüssel so fest umklammert hielt, dass die scharfe Metallkante des Aston-Martin-Schlüsselanhängers ihr in die Hand schnitt. Langsam öffnete sie die Faust und betrachtete die letzten Überbleibsel ihres alten Lebens, das bereits so weit von ihr entfernt war, dass es ihr wie das Leben einer anderen Person vorkam.
    Michelles grüner Aston Martin DB9 Volante stand nun an einer Tankstelle in Birmingham. Sie hatte den Wagen verkauft, um mit dem Geld die Kaution für den Laden zu zahlen sowie sich ein heruntergekommenes Cottage-Reihenhäuschen leisten zu können, in das sie eingezogen war. Den Schlüsselanhänger hatte sie behalten, um

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