Feindgebiet
Clair. »Das Geschäft läuft prima, und es macht mir richtig Spaß, den Tahn die letzten Kröten aus der Tasche zu ziehen. Trotzdem bin ich im Grunde ein sehr bodenständiger Mensch.«
»Stimmt«, sagte L’n. Sie sagte es ein wenig rasch, wandte St. Clairs fragendem Blick jedoch sogleich ein unschuldiges rosa bepelztes Gesicht zu.
»Wo liegt dann das Problem, Mädel?« fragte Alex.
»In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass wir auf der Stelle treten. Wir machen ihre Währung kaputt. Schön und gut. Wir sabotieren die Produktion, manipulieren ihre Moral, klauen ihnen ihre Geheimnisse und piesacken sie, wo wir nur können. Das ist in Ordnung. So soll es sein. Wir richten ordentlich Schaden an.«
»Ich weiß immer noch nicht, was dich daran stört«, sagte L’n. »Was willst du denn noch?«
»Ich möchte, dass sie laut ›Aua!‹ schreien«, antwortete St. Clair. »Wir wissen nicht einmal, wie sehr wir ihnen wirklich weh tun!«
»Richtig«, brummte Alex und klopfte nachdenklich auf den Tisch. »Ich weiß, was du meinst.«
»Wirklich?« fragte die arglose L’n, die noch immer den einen oder anderen unschuldigen Zug an sich hatte.
Alex nickte weise. »Es ist eine alte Krankheit«, sagte er. »Wie sehr tut Schmerz weh? Genau. Eine ganz alte Geschichte, Mädel. Kilgour erzählt dir mal, wie alt sie schon ist.«
Schon lehnte er sich genüsslich zurück, um einer skeptisch dreinblickenden St. Clair und einer gespannten L’n seine Geschichte zu erzählen.
›Ein Urahn von mir, noch auf der Erde, war Fallensteller. Es war lausig kalt und das alles. Er trieb sich schon seit Wochen und Monaten draußen in der Wildnis herum.
Eines Tages erreicht er eine kleine Stadt. Nein, nicht mal ’ne kleine Stadt war das, eher ein Dorf. Die sehen also diesen großen verschneiten Kerl herankommen und denken, das muss ein Bär oder so was in der Preisklasse sein.
Dabei war das mein Vorfahre.
Er wollte zum Zahnarzt.
Es stellt sich heraus, dass es tatsächlich einen diplomierten Plombenquäler in dem Dorf gibt. Mein Vorfahre setzt sich bei ihm auf den Stuhl, der Zahnarzt wirft einen Blick auf seine Zähne und sagt: ›Genau, der muss raus. Ich habe aber keine Betäubungsmittel.‹
Mein Urahn sagt nur: ›Macht nix, zieh ihn raus.‹
Und so reißt dieser Zahnarzt mit viel Schnaufen und Grunzen an dem Zahn. Und er fängt an zu schwitzen, und mein Urahne fängt an zu schwitzen.
Und der Doktor sagt: ›Tut das nicht furchtbar weh?‹
Mein Urahn meint nur: ›Nö. Das ist doch gar nichts.‹
Der Doktor staunt nicht schlecht und fragt: ›Was tut denn noch mehr weh?‹
›Letzte Woche‹, erklärt ihm mein Urahn, ›letzte Woche habe ich schrecklich Durchfall gehabt. Ziemlich heftig. Ich schaff es nicht mehr von meiner Hütte bis zu dem Örtchen. Also lass ich meine Hose bei einer Schneewehe runter, direkt vor meiner Tür. Dabei hab ich ganz vergessen, dass ich meine Bärenfallen saubergemacht hab, noch kurz bevor es zu schneien anfing. Eine kleine Falle habe ich genau dort liegenlassen, wo ich mich jetzt hinhocke.
Woran ich mich wieder erinnere, als die Falle zuschnappt. Direkt an meinen Eiern.‹
›Allmächtiger!‹ ruft der Zahnarzt entsetzt. ›Sie haben recht. Das ist der gemeinste Schmerz überhaupt!‹
»Ach was, alter Knabe‹, meint mein Urahn, ›der gemeinste Schmerz überhaupt war der, als ich das Ende der Kette erreicht hatte …‹«
Wie üblich stieß Alex’ Witz auf eisiges Schweigen. Aber nur von seilen St. Clairs. L’n krümmte sich vor Lachen auf dem Boden. Alex bedachte sie mit einem großen, zärtlichen Lächeln.
»Habe ich nicht kapiert«, sagte St. Clair ganz offen.
»Du … Du hast es nicht … .?« keuchte L’n zwischen zwei Lachanfällen. »Warum denn nicht? Ist doch ganz einfach. So einfach … dass …« Sie versuchte, sich zusammenzureißen. »Sieh mal, eine Bärenfalle hat doch diese große, lange Kette.«
»Weiß ich auch«, erwiderte St. Clair pikiert.
»Das eine Ende der Kette ist fest im Boden verankert. Und am anderen Ende hängt … also, äh, die Bärenfalle. Als die Falle zuschnappte, dann … also dann erwischte sie Alex’ Ururur-oder-wie-auch-immer-Großvater am Hodensack.«
Sie brach erneut in lautes Gelächter aus. St. Clair starrte sie nur an. Alex fand sie absolut wunderbar.
»Aber … verstehst du denn nicht, das war es nicht, was am allermeisten weh tat«, führte L’n weiter aus. »Am meisten tat –«
»Ich will es nicht wissen«, sagte St. Clair.
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