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Feldblumen

Feldblumen

Titel: Feldblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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dem See zu begleiten, und dort trug er mir das brüderliche Du an. Als wir zurückgekehrt waren, gab ich ihm mein Tagebuch, weil ich ihm von nun an völlige Offenheit schuldig zu sein glaubte.
    25. August.
    Der gestrige Abend hat eine Folge gehabt, die Alles lös'te. Natalie bat mich heute, sie ein wenig in das Strubthal zu begleiten; dort aber bat sie mich um Aufmerksamkeit, sie müsse mir etwas erzählen, das lang sei - und dann erzählte sie mir Folgendes:
    »In den blutigsten Tagen der französischen Revolution floh nebst vielen Andern auch Eduard Morus, aus Boston gebürtig, weil ihm Gefahr drohte, aus Paris, wo er handelshalber ansässig war. Er ging nach Ostindien, wo er einen Bruder hatte, und wurde dort zum reichen Manne. Seine Frau gebar ihm, nach lange kinderloser Ehe, hintereinander vier Söhne und zwei Töchter; aber nur der älteste Sohn und die jüngste Tochter lebten. Der Knabe war zehn, das Mädchen zwei Jahre alt, als Morus starb. Die Mutter, eine Pariserin, konnte ihr Vaterland nicht vergessen; deßhalb, mit Hilfe des Bruders ihres verstorbenen Gatten, machte sie ihre Habe beweglich und ging nach Paris, das inzwischen ausgetobt hatte. Es war im Jahre 1817. Das neue Paris gefiel der alten Dame nicht mehr, und ein schönes Landhaus in den Cevennen sollte ihr Ruheplatz werden. Er wurde es; denn noch in demselben Sommer starb sie. Jetzt zog auch der Oheim sein Vermögen aus dem ostindischen Handel, und ging nach Frankreich auf dasselbe Landhaus und verwaltete auch die Habe seiner zwei Bruderskinder als Vormund.
    »Der Knabe wurde bald mit einem Lehrer nach Paris gethan, und das Mädchen erhielt eine Erzieherin. Als er zwölf Jahre alt war, geschah es, daß er mit seinem Erzieher auf der Reise nach dem Landhause in eine Schenke der Cevennen trat. Viele Leute gingen aus einer Kammer aus und ein, und machten traurige Gesichter, und als er auch hineinging, sah er einen todten Mann liegen, mit jungem, blassem Gesichte und einer breiten Stirnwunde, aus der kein Blut mehr floß, und die sauber ausgewaschen war. Ueber den Leib war ein weißes Tuch gebreitet. Als er sich erschrocken wegwendete, sah er auf einer zweiten Bank eine Frau liegen, bis auf die Brust zugedeckt; diese aber und das Angesicht waren weiß wie Wachs und wunderschön, nur in der Gegend des Herzens war ein rother Fleck, wo, wie sie sagten, die Bleikugel hineingegangen sei. Was aber den Knaben zumeist jammerte, war ein etwa zweijähriges Kind, das bei der Frau saß und fortwährend die weißen Wangen streichelte. Des Morgens hatte man sie etwa eine halbe Meile tiefer im Walde bei einem umgestürzten und geplünderten Wagen gefunden. Das Mädchen sei unverletzt unter einem Haufen schlechter Kleider gelegen, und hatte ein sehr kleines goldnes Kreuzchen um den bloßen Hals hängen.«
    »Angela!« rief ich -
    »Ja, unsere Angela!« erwiederte sie, und fuhr fort: »Emil ging zu dem Mädchen und liebkoste es; da lächelte ihn die Kleine an und sagte Laute, die nicht französisch waren. Der Knabe begehrte das Kind mitzunehmen, und da man ihn und seinen Oheim kannte, so ward sie ihm ohne Weiteres überlassen, bis sie von ihren Angehörigen Jemand zurückfordere. So brachten die zwei Männer das Kind auf das Landhaus. Nie hat sich aber Jemand mehr um die Waise gemeldet. Sie ward sofort meine Gespielin und der Liebling Emils. So oft er auf Besuch da war, der oft Monate dauerte, lehrte er sie Buchstaben kennen, Blumen und Faltern nennen, und erzählte ihr Märchen. Sie horchte gern auf ihn und begriff wunderähnlich, und liebte ihn auch am meisten. Dann sagte er ihr von fernen Ländern, in denen er geboren worden, und von den schönen Menschen, die dort wohnen. Auf einmal verlangte er selber nach Ostindien. Alle Werke über dieses Land, die er habhaft werden konnte, las er durch und entzündete sich immer mehr und mehr, ja, als er im nächsten Jahre von Paris kam, redete er zum Erstaunen des Oheims ziemlich gut die Sprache der Bramanen. In demselben Jahre starb ein Handelsfreund in Calcutta, und dieß machte eine Reise des Oheims nach Indien nöthig. Emil jauchzte über den Tod des unbekannten Freundes, weil er mitdurfte. Die Mädchen kamen unter die Obhut der Tante.
    »Sechs Jahre blieb er aus, und als er zurückkam, war er ein Mann, stark und gütig. Auch das unscheinbare Kräutlein, Angela, war eine schöne Wunderblume geworden, so daß er betreten war bei ihrem Anblicke. Wir siedelten damals nach Wien über. Er unternahm nun ausschließlich unsere

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