Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
während des Laufes streiften? Ehe ich mich versah, schien ich sie eingeholt zu haben und nun parallel neben ihnen herzulaufen. Angst! ... Aber hatte ich der Angst nicht noch vor ein paar Minuten abgeschworen? Hatte ich sie nicht längst aus meinem Leben verbannt, weil ich im Angesicht des Todes keine Verwendung mehr für sie sah? Es kam jedoch schlimmer. Plötzlich waren wir nicht mehr auf einer Höhe. Einer war wie das Siegerpferd vorgeprescht, weil die anderen auf wundersame Weise ihre Geschwindigkeit gedrosselt hatten. Der blöde Gaul war natürlich niemand anderer als Eisenherz Francis. Das Ziel vor Augen oder besser gesagt in den Ohren, hatte ich des Guten zuviel getan, so daß die einstigen Gejagten nun hinter mir lagen und ich auf einmal der Gejagte war. Gleichzeitig damit wichen die Rachegelüste schlagartig dem nackten Wunsch nach Überleben. Und schmerzhaft wie ein Elektroschock wurde mir die Erleuchtung zuteil, daß ich in eine verfluchte Falle getappt war. Niemand war in Wirklichkeit vor den drohenden Vergeltungsmaßnahmen des kleinen Francis geflüchtet. Vielmehr hatte man ihm in Gestalt von Alraunes Leiche einen Köder zugeworfen und ihn so aus dem Waldhaus gelockt, um ihm in aller Ruhe den Garaus zu machen. Das nannte ich einen genialen Plan. Wahrhaftig, in den teuflischen Gedankengängen von Psychopathen kannte ich mich etwa so gut aus wie Michael Jackson im New Yorker U-Bahn-System!
Der Schaden war angerichtet, die Freilichtschlachtung des Gelackmeierten nicht mehr allzu fern. Ich warf einen gehetzten Blick zurück und erschauerte. Wie Lichtsignale aus einer von Nebelbänken umlagerten Küste blinkten im finsteren Tannicht dämonische Augen auf. Allmächtiger, verfolgte mich etwa ein ganzes Rudel? Oder doch »nur« der verrückte Hugo und die Dogge, die so flinke Haken zu schlagen wußten, daß sie Schafe hütenden Hunden gleich überall gleichzeitig zu sein schienen? Mein kleines Herz hämmerte so wild, als würde es von purem Kokain angetrieben. Meine Pfoten hatten sich in die Hufe eines besinnungslos davongaloppierenden Rennpferdes verwandelt, dessen Schmerzen durch noch gewaltigere Schmerzen betäubt wurden. Allmählich wurde mir schwindelig vor den Augen, und alles begann sich zu drehen. Über den Wipfeln der Bäume sah ich am Himmel den ersten dunkelblauen Schimmer des Morgens aufleuchten. Die Dämmerung brach an.
Dann spürte ich ihren Schwefelatem im Genick. Und vernahm wieder das Knurren, das sich diesmal jedoch keineswegs ängstlich anhörte, sondern voll kalter Wut. Es wurde anschließend von einem Geheul überlagert und dann von abgehackt ausgestoßenen schrillen Schreien, die den Kehlen von Wahnsinnigen hätten nicht schauriger entsteigen können. Doch wer waren meine Häscher wirklich? Obwohl ich den Bestien meine Eingeweide gleich als Frühstück darreichen würde, traute ich mich nicht mehr zurückzuspähen. Ihr Anblick hätte mir leicht den Verstand rauben können. Und wenn ich schon sterben mußte, wollte ich dabei wenigstens einen klaren Kopf behalten. Das war ich meiner Selbstachtung schuldig. Die irren Schreie steigerten sich, überschlugen sich, entluden sich in einem mörderischen Gekreische ...
Genau vor mir tauchte der dickleibige Ast eines ziemlich knochigen Baumes auf. Eine Armlänge über dem Boden schwingend, versperrte er wie ein Schlagbaum die mit Bodenefeu bedeckte Schneise, in der ich mich gegenwärtig befand. Darauf ruhte eine alte Bekannte, die mir in dieser verzwickten Situation wirklich noch gefehlt hatte. Ich identifizierte sie anhand ihrer linken mammuthaften Pranke, die von den letzten Strahlen des Mondes beschienen wurde. Den Rest, ein Körper zehnfach größer als meiner, verhüllte der Schlagschatten des Baumes, so daß die ganze Gestalt eine nicht näher zu definierende Silhouette blieb. Nur ihre Ohren, unsrigen sehr ähnlich, brannten sich mir trotz meiner Bedrängnis ins Gedächtnis ein, weil aus ihren Spitzen pinselartige, steif aufgerichtete Haare wuchsen. Die mich stumm anstarrenden Augen der Kreatur glühten in der Dunkelheit wie phosphoreszierende Kristalle in einer Kohlenmine. Es war die Monsterpranke, die das Ende aller meiner Hoffnungen bedeutete, und sie schien ein hervorragendes Timing dafür zu besitzen, stets im passenden Moment in Erscheinung zu treten.
Bevor ich unter dem Ast hindurchschlüpfen konnte, erhob sie sich auf die Hinterbeine und bäumte sich mit dem Oberkörper titanengleich auf. Was für eine vertrackte Situation: Hinten
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