Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
der Vision zerfetzte das schrille Geheul mein Nervenkostüm wie ein frischgewetztes Fleischermesser, mal abgesehen davon, daß meine Trommelfelle dicht davor standen zu platzen. Mit der Blitzartigkeit eines Fingerschnippens sprang ich hoch und spähte ängstlich zum Fenster hinaus. Draußen hatten die Halogenscheinwerfer die Nacht zum Tag gemacht. Auch Ambrosius stand nun die Konfusion im Gesicht geschrieben, und er starrte mit elektrisiertem Blick auf die Quelle des Alarms. Aber was hatte die Bewegungsmelder aus ihrem Dämmerschlaf gerissen? Ein Vogel im Tiefflug? Ein verirrtes Reh? Oder Diana höchstpersönlich, die inzwischen vollkommen übergeschnappt war und unten im Hof einen Hexensabbat feierte?
Wir sprangen gemeinsam auf die Fensterbank, liefen die Dachziegel herunter und schauten über die Traufe. Erst konnte ich kaum erkennen, was da nur einen Meter von der Holzveranda entfernt auf dem Boden lag. Es sah aus wie das weggeworfene, graugetigerte Bündel eines Clochards. Aber das Halogenlicht war unbarmherzig und beharrte durch seine Helligkeit, die die Konturen klar und deutlich hervorhob und selbst die kleinen Details scharf ausleuchtete, auf den Tatsachen. So erkannte ich in dem Bündel schließlich das Wesen, das ich noch vor ein paar Stunden wie durch verzauberten Tüll wahrgenommen hatte ...
Alraune!
In ihrer Kehle klaffte ein Riesenriß, der fast um den ganzen Hals ging. Deshalb wirkte der Kopf wie ein Anhängsel am Körper, lediglich verbunden durch das Nackenfleisch. Ihre grünen Augen waren aufgerissen und stierten mich unverwandt an, als erwartete sie eine Erklärung für die bestialische Wendung der Hochzeitsreise. Der Leib selbst war scheinbar das Opfer von über Wasser lebenden Piranhas geworden. Von monströsen Bißwunden übersät, glich es einem in besinnungsloser Wut zerstochenen Kissen, aus dessen Innern jedoch blutrote Federn gequollen waren. Den schockierendsten Eindruck machte aber ihr Schwanz. Er war in der Mitte abgebissen worden, und aus dem Stumpf guckte der verlängerte Wirbelsäulenknochen heraus.
Der Anblick war für mich Schicksalsschlag und Denkzettel zugleich. Alraunes Leiche verschwamm zu einem alptraumhaften Aquarell vor meinen Augen, weil diese sich schlagartig mit Tränen gefüllt hatten. Ich erinnerte mich an ihre wilde Schönheit, an ihr verführerisches sich Wälzen und Rollen, an ihre Augen, in denen der grünfunkelnde Ozean vorbeigebraust war, und an die unbändige Lust, die uns für einen ewigen Moment zu einem einzigen heiligen Urwesen verschmolzen hatte. Und ein Teil meines Ichs dachte an das Leben, das wir vielleicht am Nachmittag gezeugt hatten. Ich dachte an meine toten Söhne und Töchter, die nicht hatten sein sollen. Ja, sollten doch die Tränen mir völlig die Sicht nehmen, mich blind machen, damit ich solche Greuel nie mehr sehen mußte. Sollte doch die Todesvision möglichst schnell Realität werden, damit ich Alraune und meine ungeborenen Kinder in den ewigen Jagdgründen umpfoten, beschnüffeln und meine Nase zärtlich gegen die ihrigen reiben konnte. Erlösung war es, was ich mir nur noch wünschte, Erlösung und endlich weg aus dieser wahnsinnig gewordenen Welt!
Gleichzeitig aber kam ich mir wie ein Tölpel vor, weil ich vor Ambrosius den neunmalklugen Detektiv gemimt hatte, ohne von der Materie eine Ahnung, zu haben. Weil noch keiner von den Wilden dran glauben mußte, hatte ich in einem oberschlauen Rückkehrschluß diese seit Jahrtausenden verfolgte Minderheit verdächtigt. Jetzt hatte ich den Gegenbeweis. Doch um welchen Preis! Wie ehr- und verantwortungslos ich doch gewesen war. Nein, nicht meine krummen Gedankengänge, sondern Ambrosius' intuitive Einschätzungen entlarvten den Mörder. Und dieser war eindeutig der Schwarze Ritter. Er hatte sicher meine Liebelei mit Alraune heimlich beobachtet, sich jedoch mit dem Schlachten zurückgehalten, weil ihm noch etwas viel Teuflischeres eingefallen war. Dann hatte er sich mir in einem Anfall von Narzißmus gezeigt, wie es Meuchelmörder mit einer phantomhaften Aura gern zu tun pflegen. Zum sadistischen Abschluß hatte er Alraune gelehrt, was Grauen heißt, den Kadaver zwischen den Zähnen geschwind auf den Hof geschleppt und mir sozusagen vor die Tür gelegt - was bedeutete, daß er nun gar nicht so weit entfernt sein konnte.
Die Reue schlug mit einem Mal in kalte Wut um. Und in Rachegelüste. Warum sollte einer am Leben bleiben, der sich einen Witz daraus machte, anderen das Leben zu nehmen? Ich
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