Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
unaussprechlichen Substanzen, die ich dabei schluckte, zog sich mir der Magen schmerzhaft zusammen. Während ich also trotz fanatischem Selbstreinigungseifer mit meinen Begleitern Schritt zu halten versuchte, ergriff Niger das Wort.
»Wir sind das Gewissen unserer Art, Francis«, sagte sie kämpferisch. »Mehr noch, wir gewähren das letzte Asyl, die allerletzte Rettung vor den Folterqualen und dem Tod. Denn wir sind die wahren Barmherzigen. Weißt du, mein Freund, die Ungleichheit, die Menschen in Sonnenkinder und arme Teufel unterteilt, macht erst recht nicht vor den Tieren halt. Trotzdem wäre es eine Überlegung wert, ob der Vollblutaraber im königlichen Gestüt, der nach verheerenden Stürzen im Derby schon zwölfmal an den Beinen operiert wurde, es tatsächlich besser hat als das täglich gegen den Hunger ankämpfende Eichhörnchen im Wald. Im Leiden sind wir alle gleichberechtigt, fürchte ich. Dir, Francis, hat sich das Leben bis jetzt bestimmt allein von der Schokoladenseite bezeigt. Aber nur wenige von uns liegen auf Samtkissen, dösen sich in sonnendurchfluteten Wintergärten besoffen und philosophieren über die ideale Zusammensetzung von Dosenfutter. Safrans Flucht durch den Lokushals mag sich besonders tricky anhören, doch auch Menschen benützen inzwischen diese Methode, um sich ihrer lästig oder zu zahlreich gewordenen Lieblinge zu entledigen. Einen ganzen Wurf in der Badewanne zu ertränken, ist eine ziemlich eklige Angelegenheit für den praktisch denkenden Menschen von heute. Deshalb spült er die Kleinen kurz und, wie er glaubt, schmerzlos das Klo herunter. Nach einer alptraumhaften Reise durch das Röhrensystem erhalten sie durch uns eine neue Lebenschance - wenn sie nicht vorher ertrunken sind. Oder aber der Mensch züchtet unsere Art zu einer unansehnlichen, allein wegen ihrer deformierten Extravaganz geschätzten Rasse, so wie es bei den armen Sphinx-Verwandten der Fall ist. Die nicht ins Zuchtschema passenden Exemplare jedoch schmeißt er halb totgeschlagen in den Müllcontainer. Manche der schwerverletzten Opfer können mit letzter Kraft ihren stinkenden Särgen entfliehen und finden durch die Spalten der Straßenablaufroste doch noch den Weg zu uns. Wir selbst sind durch den fortwährenden Aufenthalt in der Finsternis unfruchtbar geworden und können keine eigenen Kinder gebären. Um so intensiver kümmern wir uns um die an Kindes Statt Angenommenen und um die alten, geflüchteten Brüder und Schwestern aus den Tierversuchslaboren, die in den Katakomben einen unbeschwerten Lebensabend verbringen können. Die größte Gefahr geht von einer Entdeckung durch die Kanalarbeiter aus, die ihren unglaublichen Fund sofort an die Behörde weitermelden würden. Und die sähe sich daraufhin gezwungen, hier unten ein rigoroses Reinemachen zu veranstalten. Wir ernähren uns von Ratten, gegen die der Mensch zum Glück noch immer kein probates Mittel gefunden hat. Die Jagd ist ziemlich riskant, und es kommt hin und wieder zu blutigen Zwischenfällen, weil die Biester durch die hiesigen Schlaraffenlandverhältnisse an Größe und Kraft abnorm zugelegt haben. Doch alles in allem können wir mit der Verwirklichung unserer Mission ganz zufrieden sein - wären da nicht seit geraumer Zeit Schatten aus der Vergangenheit aufgetaucht …«
»Schatten aus der Vergangenheit?« Ich stutzte. Die ganze Rede hatte sich eigentlich schon nach dem ultimativen Horror angehört. Gab es noch eine Steigerung?
»So kann man es bezeichnen«, meldete sich Safran knatternd wieder. Die sich vor uns windende Kolonne der gräulichen Rücken und erwartungsvoll emporgestreckten Schwänze beschrieb eine Rechtskurve.
»Es handelte sich damals eigentlich um nur einen einzigen Schatten. Aber die Vergangenheit wäre natürlich nur halb so interessant, hätte sie keine Auswirkungen auf die Gegenwart. Ich glaube, dir ist etwas Wunderliches begegnet, nachdem du unser Reich betreten hast, Francis.«
»Wasserleiche. Vermutlich Europäisch Kurzhaar. Kopf vom Hals getrennt und nicht mehr vorhanden. Wies zahlreiche, extrem große Bißwunden am Körper auf. Trieb wahrscheinlich mehrere Tage im Wasser, was die außergewöhnliche Aufblähung des Leibes verursachte. Anzunehmen, daß der Tötung kein artüblicher Kampf mit Droh- und Verteidigungsritualen vorausgegangen ist und der gebräuchliche Genickbiß seitens des Täters nicht zur Anwendung kam. Resümee: Das Opfer muß sich zur Tatzeit in einem Schockzustand befunden haben, der jede
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