Felidae
belaufen. Doch wir rechneten weiter. Wenn unser Schlächter mit einer gleichbleibenden Regelmäßigkeit ans Werk gegangen war, hatte er demnach jährlich 64,28, monatlich 5,35 und wöchentlich 1,33 Felidae in die ewigen Jagdgründe befördert. Statistisch gesehen hatte er ungefähr alle fünf Tage einen aus unserer Mitte vor seinen Schöpfer treten lassen. Diese Berechnung hielt aber den Realitäten der letzten zwei bis drei Wochen nicht stand, denn selbst wenn man die vielen Ungenauigkeiten berücksichtigte, schien er neuerdings fast die doppelte Menge zu bewältigen und in einem Rhythmus von zwei bis drei Tagen zuzuschlagen.
Diese Rechenkunststücke waren selbstverständlich nichts weiter als Spekulationen, statistische Täuschungen, flirrende Zahlenspiele auf dem Bildschirm des Computers, über den wir uns stets hermachten, sobald Pascals Herrchen sich verdünnisiert hatte. Aber es war ausgeschlossen, da ß wir uns im großen Maßstab irrten, weil sich unten im Tempel viele Hunderte von Gerippen befanden, wie ich mich mit eigenen Augen hatte überzeugen können. Vermutlich waren wir durch diese Methode der Wahrheit sogar weit näher gekommen, als wir es ahnten. Von der Enträtselung eines einleuchtenden Mordmotivs waren wir dagegen so entfernt wie eh und je.
Der Weg zu einigermaßen realistischen Ergebnissen war mit nervenraubender Detailarbeit gespickt. Ohne Blaubart, der etliche Revierbewohner interviewte, Familienmitglieder und Freunde der Verschollenen ausfindig machte, sie nach letzten Äußerungen ihrer verschwundenen Lieben ausfragte und so die fehlenden Informationen zu der Computerchronik lieferte, hätten wir eine Liste von solchem Umfang sicher nicht in so kurzer Zeit zusammenstellen können.
Doch neben der Plackerei führte mich Pascal Schritt für Schritt in die Geheimnisse des Computers ein und eröffnete mir ein faszinierendes Universum voll spielerischer Logik und logischer Spielerei. Allein das Datenverwaltungsprogramm, welches uns beim Erstellen der Statistik die halbe Arbeit abnahm, entzückte mich dermaßen, da ß ich mir seine Funktionsweise innerhalb eines Tages selbst aneignete, von Pascals gelegentlichen Tips abgesehen. Er war es auch, der mir beibrachte, wie man geheime Dateien anlegte, welche nur mittels eines persönlichen Codes aktiviert und auf den Bildschirm geholt werden konnten. Dadurch blieb ihre Existenz selbst dem Besitzer des Gerätes verborgen.
Aber ich wollte mehr, hatte ich doch endlich eine Möglichkeit entdeckt, wie ich mein krankes Grübelhirn, das die meiste Zeit zur Untätigkeit verdammt war, mit intellektuellem Futter bei Laune halten konnte. Die Macht, mit ein paar Tastenanschlägen eine Simulation der Wirklichkeit zu erschaffen oder das Reich der Abstraktionen und des Wissens zu durchdringen, berauschte mich und machte bereits nach der ersten Injektion einen Süchtigen aus mir. Deshalb wandte ich mich während der Arbeit immer wieder an Pascal und flehte ihn an, mir mehr Stoff zu besorgen. Dieser erzählte von den vielen Computersprachen mit so verheißungsvollen Namen wie Basic, Fortran, Cobol, Ada und kurioserweise sogar Pascal. Eine dieser Sprachen wollte er mich lehren, wenn die Jagd nach dem Mörder vorbei war, so da ß ich in der Lage sein würde, eigene Programme zu kreieren.
Doch alle diese mit einem ermunternden Lächeln und glänzenden Augen abgegebenen Versprechen versetzten mir jedesmal einen Dolchstoß, weil ich mir dabei automatisch die kurze Zeit vergegenwärtigen mu ß te, die meinem Meister noch blieb. So unendlich viele intellektuelle Husarenstücke hätten wir noch gemeinsam vollbringen und so dunkle Mysterien lüften können, wenn seinen Gedärmen nicht diese teuflischen Tumoren innegewohnt hätten, die wuchsen und wuchsen und wuchsen, während wir die ganze Zeit über in kindischen Träumen schwelgten. Der Schmerz, der sich prompt in mein Herz bohrte, wenn ich ihn verführte, davon zu schwärmen, was er mir noch Großartiges beizubringen gedachte, wurde schließlich so unerträglich, da ß ich jede Anspielung auf eine gemeinsame Zukunft vermied und das Gespräch stets auf die anstehenden Probleme lenkte. In dieser Atmosphäre der Ungewi ß heit und wildesten Phantasterei schufteten wir vor dem Bildschirm viele Tage und, wenn Karl Lagerfeld nicht nach Hause kam, sogar nächtelang. Ich war hin und her gerissen zwischen Erfolgserlebnissen, die wir alle grölend am Fre ß napf feierten, und der mich in einem konstanten Ebbe-und-Flut-Rhythmus
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