Felidae
stellte. Es waren die nach selbstgebackenen Plätzchen duftenden, mit Pulverschnee überzuckerten Tage vor Weihnachten, und Gustav und Archie hatten sich eisern zum Ziel gesetzt, die Renovierung bis Heiligabend komplett abgeschlossen zu haben. Da ß die beiden vor lauter Stre ß überhaupt keine Zeit mehr fanden, sich um mich zu kümmern, war mir nur recht, denn ich war derweil mit meinem eigenen Stre ß beschäftigt.
Das, was Pascal und ich uns zu bewerkstelligen vorgenommen hatten, entpuppte sich rasch als ein mühsames Auseinanderklamüsern von über Jahre hinweg angehäuften Computerdaten und Erinnerungsfragmenten der Revierbewohner. Wie Pascal vorausgesehen hatte, war es außerordentlich kompliziert, die vielen »kalten Säcke« von den plötzlich verschwundenen Artgenossen zu trennen, die entweder eines natürlichen Todes gestorben waren oder aus unbekannten Gründen unseren Distrikt verlassen hatten. Selbstverständlich konnten wir letzten Endes keine hundertprozentige Angabe darüber machen, wie viele in all den Jahren tatsächlich Jesajas Totenwächterdienste in Anspruch genommen hatten. Dennoch kamen wir, wie wir glaubten, der Wahrheit mit ein paar Tricks aus der Wundertüte der Statistik zumindest mit ungefähr achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nahe. Dabei war uns Blaubart eine unerlä ß liche Hilfe, denn er besorgte die leidige Drecksarbeit. Seine detaillierten Kenntnisse über das Revier und seine vielfältigen Kontakte machten sich nun vortrefflich bezahlt.
Pascals Daten reichten lediglich bis ins Jahr 1982 zurück. Deshalb konzentrierten wir uns zu Beginn unserer Rechenoperation auf sämtliche Artgenossen in der Computerdatei, welche dem Distrikt seit Anfang '82 ade gesagt hatten. Bereits am fünften Tage der Untersuchung kamen wir auf eine »elastische« Zahl von achthundert Verschollenen. Diese waren jedoch nach und nach durch zirka neunhundertfünfzig Neue wieder ersetzt worden, was zum Teil darauf zurückzuführen war, da ß unsere Art, bei den die Verantwortung immer mehr scheuenden Menschen als pflegeleichtes Haustier in Mode kam, und zum Teil auf den Umstand, da ß die ganzen Verschwundenen zwangsläufig für Neulinge Platz geschaffen hatten. Die Gründe für das Verschwinden von zirka zweihundert dieser achthundert Nimmerwiedergesehenen waren Pascal und Blaubart einigermaßen bekannt. Entweder waren sie mit ihren Besitzern weggezogen oder sie hatten sich des öfteren dahingehend geäußert, da ß sie sich in unserem Bezirk oder bei ihren Besitzern unwohl fühlten und an einen Revierwechsel dachten. Mit größter Sicherheit hatten sie diesen Wunsch irgendwann auch in die Tat umgesetzt. Dann betrachteten wir das Alter der verbliebenen sechshundert Artgenossen. Da unsere durchschnittliche Lebenserwartung nach menschlicher Zeitrechnung neun bis fünfzehn Jahre beträgt und jene sechshundert einen soliden Altersquerschnitt darstellten, gingen wir davon aus, da ß etwa hundert von ihnen infolge von Altersschwäche beziehungsweise altersbedingten Krankheiten das Zeitliche gesegnet haben mu ß ten, ohne da ß dies jemandem besonders aufgefallen wäre, weil sie von ihren Haltern vermutlich unverzüglich bestattet worden waren. Pascal hatte natürlich zusätzlich über die reguläre Sterberate im Revier Buch geführt, doch da in diesen Fällen die Todesursachen alle bekannt waren, tangierten sie die hundert von uns vermuteten Sterbefälle logischerweise nicht. Bei einer so großen Anzahl von Vermi ß ten mu ß ten wir des weiteren eine Dunkelziffer mit in Betracht ziehen. Ein gewisser Prozentsatz von ihnen hatte sich nämlich bestimmt aus nicht näher zu spezifizierenden Gründen in Nichts aufgelöst. In diesen diffusen Bereich gehörten zum Beispiel der Diebstahl von Rassetieren oder Verkehrsunfälle, bei denen die Opfer von aufmerksamen Beobachtern sogleich in einer Mülltonne zur letzten Ruhe gebettet wurden. Diese Dunkelziffer schätzten wir großzügig mit zehn Prozent ein, was bei den verbleibenden fünfhundert Artgenossen fünfzig Missing-in-Action-Kandidaten ausmachte.
Zweihundert plus hundert plus fünfzig macht dreihundertfünfzig. Wir wu ß ten nun, da ß es sich bei dreihundertfünfzig aus der Liste der achthundert spurlos Verschwundenen nicht um Ermordete handelte. Die annähernde Zahl der Artgenossen, die im Verlauf der vergangenen sieben Jahre durch die Bisse des Oberbeißers ihr schreckliches Ende gefunden hatten, mu ß te sich also nach Adam Riese auf etwa vierhundertfünfzig
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